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Mit „Tótem“ malt die Mexikanerin Lila Avilés ungewöhnliche, aber wunderschöne Kinobilder auf die Leinwand. Der ganze Film wirkt wie ein Gemälde: ein intimes Familienportrait, das berührt.

Tótem (2023)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Familienliebe

Die Familie feiert den Geburtstag und gleichzeitig den Abschied von Tonatiuh, einem Maler und jungen Familienvater. Tona hat Krebs, eine Therapie will er nicht machen, dieser Geburtstag wird sein letzter sein. Dafür kommen Freunde und Verwandte zusammen, backen Kuchen, führen eine Geisteraustreiberin durchs Haus, machen sich zurecht und überlegen sich Lieder und Worte, um ihm eine Freude zu machen. Sie alle begleiten wir als Zuschauer:innen von Lila Avilés‘ Wettbewerbsbeitrag der Berlinale 2023 bei ihren Vorbereitungen, hören den Gesprächen und Meinungsverschiedenheiten zu, beobachten Trauriges und Tragisches und wissen: So laut und bunt das Treiben im großen Haus auch sein mag, der Tod wird unaufhaltsam kommen, er ist schon mittendrin.

Von Tona (Mateo Garcia Elizondo) erfährt das Publikum zunächst wenig, man sieht in kurzen Szenen einen gebrochenen Körper, wie der Schatten einer Person. Wenn, dann erfährt man etwas über Tona von den anderen, wie sie über ihn sprechen, sich austauschen, Entscheidungen treffen wollen. Auch seine Frau Lucia (Iazua Larios) und Tochter Sol (Naíma Sentíes) begleiten wir auf ihrem Weg zum Fest, sie aber sind eher still und vor allem in der Zweisamkeit übermütig, da spricht die siebenjährige Sol auch aus, was sich alle wünschen: dass ihr Vater nicht sterben werde.

Das Fest ist schon lange im Gang, als Tona sich umzieht, auf den Weg in den Garten macht und dann doch wieder umkehrt. Der Körper streikt, er kann nicht raus. Und so suchen Sol und Lucia nach ihm, und diese wenigen Minuten der Kleinfamilie im dunklen Zimmer ist eine intensive Zuspitzung des als Kammerspiel angelegten Films. Auch bei allen Familienmitgliedern spürt man die Liebe und Wertschätzung für Tona, in diesem Raum zu dritt aber zeigt sich die Liebe in ihrer reinsten Form.

Tótem beginnt mit der Großaufnahme des Mädchens und endet mit einer solchen – lässt man einmal den Epilog außen vor. Immer wieder nimmt der Film das Kind in den Fokus seiner Betrachtungen, erzählt die Geschichte – neben vielen anderen alternierenden – auch aus seiner Perspektive, denn die Geschichte betrifft das Mädchen im Besonderen. Das sind zum Teil ungewöhnliche Ansichten, was durch das nur noch selten auf der Leinwand zu sehende 4:3-Format verstärkt wird, aber die ergreifendsten Momente des Films.

Doch auch das Leiden der anderen Familienmitglieder berührt: Tonas Vater, der immer wieder an seinem Bonsai herumschnippelt und ihn schließlich in wenigen Worten seinem Sohn als Geschenk überreicht; Schwester Nuria (großartig: Montserrat Marañon), die lieber ein Kunstwerk auf den Kuchen malt, als am Fest teilzunehmen und Zeit mit ihrem Bruder zu verbringen, auch nachdem er schon mehrmals nach ihr gefragt hat. 

Wie der Betrachter auf den verschiedenen Elementen und Details eines großen Gemäldes aus früheren Zeiten verweilt und dann den Blick weiterziehen lässt, so erfasst auch der Film auf ruhige und bedächtige Weise diese Familie in ihrer ungewöhnlichen Situation, stellt mal den einen, mal die andere in den Mittelpunkt und wechselt dann in den Nebenraum, nimmt eine andere Perspektive ein. Das gelingt. Ist spannend und kurzweilig. Denn als Zuschauer:in zeichnet man dieses Familienportrait im Kopf nach, macht sich nach und nach ein Bild von jedem Einzelnen und der Familie als Ganzem.

Dabei schweift der filmische Blick auch ab und entwirft ganz nebenbei ganz ungewöhnliche, aber großartige Kinobilder, die er durch das zurückgenommene Sounddesign einmal mehr wirken lässt. Etwa wenn Sol eine Handvoll Schnecken auf die Gemälde im Haus setzt und nach oben kriechen lässt oder sich eine Gottesanbeterin ins Bad verirrt hat. Die Tiere gehören ebenso zum Filmgemälde wie die Menschen, sind Teil der Gesellschaft, dieser Momentaufnahme, der Natur der Dinge. Und gerade auch durch diese ins Haus eindringende Natur wird deutlich: Am Ende steht immer der Tod, umgeben von viel Wärme und Herzlichkeit, Menschlichkeit und Liebe.

Tótem (2023)

Die 7-jährige Sol verbringt den Tag im Haus ihres Großvaters. Das Mädchen hilft ihren Tanten Nuri und Alejandra bei den Vorbereitungen für eine Überraschungsparty, die sie für Sols Vater Tonatiuh veranstalten. Als der Abend anbricht, breitet sich eine seltsame und chaotische Atmosphäre aus. Das unsichtbare Band, dass die Familie zusammenhält, löst sich auf. Sols Welt verändert sich auf dramatische Art und Weise. Sie lernt in der Folge loszulassen und gleichzeitig das Leben zu schätzen.

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