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Die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi ging um die Welt. Regisseur Bryan Fogel klamüsert die Fakten auseinander. Ein Dokumentarfilm über Macht, Medien und einen missglückten Vertuschungsversuch.

The Dissident (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Mord, Lügen und das Internet

Wie weit können Menschen gehen, ohne bei einer Straftat erwischt zu werden? Dieser Frage ging der Regisseur Bryan Fogel bereits in seinem oscarprämierten Dokumentarfilm „Ikarus“ (2018) nach, der vom Doping im Spitzensport handelte. In seinem neuen Film nimmt er sich eines Falls an, der rund um den Globus Schlagzeilen machte. Und auch dieses Mal spielt Fogel die Stärken des dokumentarischen Kinos voll aus.

Als der Journalist Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 das saudi-arabische Konsulat in Istanbul betritt und das Gebäude nicht mehr verlässt, bekommt davon zunächst nur seine Verlobte Hatice Cengiz etwas mit. Die zwei wollen heiraten, Khashoggi die dafür nötigen Unterlagen im Konsulat abholen. Zu diesem Zeitpunkt glaubt Cengiz noch an eine Verhaftung oder Entführung Khashoggis aufgrund seiner kritischen Berichterstattung gegenüber dem saudischen Königshaus. Die türkische Polizei vermutet Schlimmeres. Kurz darauf wird aus dieser simplen Vermisstenmeldung eine globale Nachricht.

Jamal Khashoggis Leiche wurde bis heute nicht gefunden. Dass er ermordet wurde, ist unbestritten. Mit welcher Präzision, Kaltblütigkeit und amoralischer Selbsbesoffenheit die dafür eigens in einem Privatjet eingeflogenen Henker vorgingen, dürfte aber selbst jene erschüttern, die den Fall in den Medien verfolgt haben. Fogels Film präsentiert Abschriften der im Gebäude abgehörten Gespräche. Die Mörder sind zu Scherzen aufgelegt. 

Gleichermaßen erschreckend sind die Konsequenzen, die aus dieser Tat gezogen wurden: Sie reichen von Ignoranz und Verharmlosung über die üblichen Lippenbekenntnisse bis zu heuchlerischen Appellen für Demokratie, Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit. Freilich sind auch genügend scharfe Verurteilungen darunter. Doch als Handelspartner und Reformer seines Landes scheint der vermeintliche Drahtzieher, Kronprinz Mohammed bin Salman (im Film meist nur MBS genannt), schlicht zu wichtig, um sich auf dem internationalen Parkett deutlich genug von ihm zu distanzieren. 

Fogel belässt es nicht bei der akribischen Nachzeichnung des Tathergangs und der Folgen. Er zeichnet ein breiteres Bild: von Khashoggis Werdegang, von der saudi-arabischen Gesellschaft und Königsfamilie, vom Journalismus in Zeiten der Digitalisierung und vom Regimekritiker und Vlogger Omar Abdulaziz, der inzwischen in Kanada lebt und dem Film als Kronzeuge dient. Gemeinsam mit Abdulaziz versuchte Khashoggi, auf die Trolle des Regimes mit einer „Armee der Bienen“, wie sie es nannten, zu reagieren, um das von der saudischen Obrigkeit manipulierte öffentliche Meinungsbild wieder geradezurücken. Dieses Engagement wurde Khashoggi letztlich zum Verhängnis: Sein vehementer Einsatz für die Meinungsfreiheit, der erst spät in seiner Karriere in den Nachwehen des Arabischen Frühlings aufflammte.

Fogels Film stellt Khashoggi nicht als Märtyrer der Meinungsfreiheit hin. Dazu war seine Karriere zu wechselhaft und lange Zeit systemtreu. Er hatte direkten Zugang zum Königshaus. Ein Privileg, das man sich nicht durch kritische Kommentare erwirbt. Ein Weggefährte formuliert es so: „Jamal war eher Reformer als Regimegegner.“ Und für diese Reformen schienen ihm Rechte wie die freie Meinungsäußerung unabdingbar. 

Diese objektive Haltung gegenüber seines Protagonisten hätte dem Film auch in Bezug auf Omar Abdulaziz gutgetan. Der Vlogger ist in erster Linie ein Selbstdarsteller, was wohl in der Natur seines Berufs liegt und was das Publikum auch unkommentiert erkennt. Etwas auf den Zahn hätte Fogel diesem Kronzeugen aber schon fühlen können. Und auch die Form dieses Dokumentarfilms ist nicht immer glücklich.

Wie so viele dokumentarische Formate über Verbrechen vertraut auch The Dissident nicht auf die Kraft der Fakten. Großstadtimpressionen, möglichst bei Nacht, erzeugen Suspense. Und selbst die einfachsten Interviewsituationen sind mit dramatischer Musik unterlegt. Auch dieser Dokumentarfilm möchte ein Thriller sein, dabei ergibt sich der Thrill bereits aus dem Fall selbst.

All das sind kleine Kritikpunkte angesichts eines beeindruckenden Ganzen. The Dissident ist ein erschreckender, ein zeitgemäßer, ein dringlicher Dokumentarfilm. Er stellt nicht nur die Frage nach der Zukunft des politischen Umgangs mit Machthabern, sondern auch die Frage nach der Zukunft des Verhältnisses von Fakten, Lügen und Journalismus.

The Dissident (2020)

Als der Journalist der Washington Post, Jamal Khashoggi, in Istanbul verschwindet, setzen seine Verlobte und Dissidenten auf der ganzen Welt die Hinweise auf einen Mord zusammen und decken eine globale Vertuschung auf.

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