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Australische YouTuber haben einen Horrorfilm gemacht. Es geht um Drogen, Traumata und Voyeurismus. Er ist gut geworden – nicht nur für einen Film von YouTubern.

Talk to Me (2022)

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

Talk to the Hand

Eine gängige Ansicht ist, dass Internet-Persönlichkeiten nicht viel können, sondern vor allem viel offenbaren, eine Art Reverse Engineering von Berühmtheit. Tatsächlich können gerade YouTuber ziemlich viel: Sie boxen, machen Musik und schreiben Bücher, versuchen sich als Comedians oder Pro-Wrestler und machen immer wieder auch Filme. Das ist ein besonders anspruchsvoller Medienwechsel: Weder als Boxer noch als Pro-Wrestler hat sich zwar Logan Paul blamiert, sein Film „Airplane Mode“ aber wurde von der Kritik verrissen. Die Bücher von Shane Dawson sind Beststeller, seine romantische Komödie „Not Cool“ wollte dagegen niemand sehen. Nun hat das australische Brüderpaar hinter dem YouTube-Kanal RackaRacka einen Horrorfilm gemacht, und er ist tatsächlich gut geworden.

Eine Messerattacke, ein brutaler Suizid, ein überfahrenes Känguru (für die Australianness) – Talk to Me will gleich in den ersten Minuten schockieren. Auch die YouTube-Videos von Danny und Michael Philippou zeichnen sich durch blutige Effekte und waghalsige Stunt-Arbeit aus. Sie gehören immerhin, wie so viele YouTuber, zur Jackass-geschädigten Generation der Millenials. Für den Einstieg ins Horrorfilmgeschäft war das eine gute Übung.

In der Eröffnungsszene eilt ein junger Mann durch eine große Partygemeinde auf der Suche nach seinem Kumpel Duckett. „Was hat er genommen?“, ruft er. Die Kamera folgt ihm per Tracking-Shot. Duckett sieht tatsächlich nicht gut aus, als er gefunden wird. Erst später erfahren wir, dass keine herkömmlichen Drogen der Grund für diesen Zustand waren, sondern Geisterbeschwörungen. Talk to Me verwendet Besessenheit als Sinnbild für Drogen. Sie scheint eine Art High-Gefühl zu verursachen und süchtig zu machen. Auch ein zweites zentrales Motiv des Films wird gleich in der Eröffnungsszene eingeführt: „Ist das euer Ernst? Hört auf zu filmen!“, ruft der junge Mann, während er versucht, den verstörten Duckett abzutransportieren und dabei von mehreren Handylichtern begleitet wird.

Die Hauptfiguren des Films sind Mia (Sophie Wilde), deren Mutter sich vor zwei Jahren selbst getötet hat, und ihre Freundin Jade (Alexandra Jensen), deren Familie für Mia als Ersatzfamilie fungiert. Sie bekommen über Snapchat mit, dass in ihrem Dunstkreis dämonische Mutproben stattfinden. Indem man eine mumifizierte Hand hält, kann man mit Toten ins Gespräch kommen oder sie sogar von sich Besitz ergreifen lassen. „Die machen das doch nur für Aufmerksamkeit“, sagen Mia und Jade, als sie die Snapchat-Storys sehen.

Das ist ein zum einen ein selbstreferenzielles Motiv: YouTuber haben schon viele fragwürdige Dinge für Aufmerksamkeit getan. Logan Paul filmte Leichen im japanischen „Suizid-Wald“ Aokigahara, und auch die Filmemacher selbst hatten wegen ihrer brutalen und vulgären Inhalte schon mehrfach Stress mit der YouTube-Moderation. Andererseits sind jugendliche Gruppenzwänge und Mutproben schon sehr viel älter als das Internet, und in Talk to Me entsteht aus der Tatsache, dass ständig die Handys gezückt sind, eher eine Voyeurismuskritik. Abgesehen davon haben die Filmemacher es auch nicht nötig, sich mit popkulturellen Verweisen bei ihrer jungen Fan-Gemeinde anzubiedern oder mit Querverweisen auf die Horrorfilmgeschichte vor ihrem neuen Publikum anzugeben. Auch so merkt man zum Beispiel den Szenen dämonischer Bessenheit an, dass Sam Raimis legendäre Evil-Dead-Filme ein Vorbild sind.

Das Tempo der Eröffnungssequenz kann der Film leider nicht halten. Das Erzählen der Hintergründe der Charaktere gerät etwas Seifenoper-artig, und auch die Inszenierung ist später, gemessen am oft reizüberflutenden Schneidestil von YouTubern, geradezu konventionell. Mias Trauma, der Tod ihrer Mutter, verhilft aber in der zweiten Hälfte zumindest zu einer psychologischen Radikalität: Ein Geist, der ihre Mutter imitiert, will sie dazu manipulieren, ihren Vater zu töten.

Talk to Me hat in der Inszenierung nicht mehr viel vom sich kontrovers gerierenden DIY-Stil der YouTube-Szene. Er sieht aus wie ein Majorstudio-Horrorfilm. Das kann man, je nach Erwartungshaltung, sehr professionell oder ein bisschen konventionell finden. Einige gelungene Gewaltsequenzen und psychologische Motive heben ihn aber über den Durchschnitt. Am Ende gibt der Film sogar eine Antwort darauf, was sich hinter dem berühmt-berüchtigten Licht am Ende des Tunnels verbergen könnte.

Talk to Me (2022)

Australien, in der Gegenwart: Das Abhalten von Séancen ist zum neuesten lokalen Partyhit geworden. Als sich der Todestag ihrer Mutter jährt, beschließt die Jugendliche Mia ebenfalls diesem Trend zu folgen. Gemeinsam mit Freunden will sie die Geister heraufbeschwören. Dabei helfen soll eine einbalsamierten Hand. Entgegen ihren Erwartungen gelingt es der Gruppe von Teenagern mit dem mysteriösen Artefakt den Kontakt zum Jenseits herzustellen. Allerdings beginnt nach der Séance die Grenze zwischen den Lebenden und Toten aufzubrechen. Mia wird fortan von verstörenden übernatürlichen Visionen heimgesucht. Sie versucht, den Schaden, den sie angerichtet haben, rückgängig zu machen und die Öffnung zum Jenseits wieder zu schließen.

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