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Die Mutter nimmt die (erwachsene) Tochter mit auf Ostseeurlaub. Sie sprechen nicht wirklich miteinander – auch nicht über Jochen, den sich die Mutter als Urlaubsflirt aussucht. Und in dem die Tochter so etwas wie eine Vaterfigur sieht, die sie nicht gehabt hat.

Sprich mit mir (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Wenn die Mutter mit der Tochter…

Sonne, Palmen – leider geht es nicht nach Malle, pandemiebedingt. Also hat Michaela (Barbara Philipp) für nächste Woche Urlaub auf Rügen gebucht und rekrutiert gleich die Tochter Karo (Alina Stiegler), ob die will oder nicht. Das Verhältnis der beiden ist eng, sie schlafen auch mal im gleichen Bett – und Mama zwickt die Tochter, aus Spaß, als neckischen Nähe- und Liebesbeweis, aber eigentlich höchst übergriffig. Das macht man mit Babys oder allenfalls Kleinkindern. Zuvor hatten wir Caro mit ihrem Freund gesehen beim Sex, es hat nicht geklappt, er hat Schluss gemacht. Sie war nicht feucht: „Warum schläfst du mit mir, wenn du nicht willst?“ Im Bett mit Mama entdeckt Caro auf deren Bauch ein enorm großer blauer Fleck. Sie wiegelt ab: Bin vom Stuhl gefallen. Und: Glaubst du etwa, ich lass mich von einem Mann verprügeln?

Mutter und Tochter auf Urlaub: Der Hauptteil des Films beschreibt die Tage an der Ostsee. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht, braucht es auch nicht; es reicht die Schilderung dieser beiden Frauen, die miteinander wollen, aber nicht so richtig können. Die beide etwas in sich tragen, das sie nicht rauslassen. Die Mutter redet viel, ohne viel zu sagen, schimpft über die Männer, und Caro will vor allem Ruhe, Zeit für sich selbst. Sie ist mehr der in sich verschlossene Typ – Mutter Michaela aber fängt gleich einen Flirt an mit Jochen (Peter Lohmeyer). Der ist kurz vor der Scheidung, macht nochmal – zum ersten Mal – Urlaub mit der sechzehnjährigen Tochter Marie (Pearl Graw), um irgendwie was gutzumachen – das erkennt Michaela sofort, sie hat einen Blick für Männer, schon flirtet sie. Caro erwischt ihre Mama auch mal beim schnellen Sex aufm Klo.

Marie ist offen, zugewandt, hat schnell Freunde gefunden auf Rügen, und wendet sich auch Caro freundlich zu. Unter der Dusche: Weißt du eigentlich, wie schön du bist? Nein, nicht sexuelle Anmache, sondern Aufsiezugehen. Caro weiß nicht recht, was sie davon halten soll. Zumal die Begegnung mit Jochen sie  an den Vater erinnert, den sie nie hatte, der die Familie verlassen hat, als sie zwölf war. Eine Viererkonstellation mit Konfliktstoff – ein Konflikt, der nie wirklich ausbricht, der immer gedämpft bleibt im Ungesagten, im Unausgesprochenen.

Regiedebütantin Janin Halisch blickt in ihrem dffb-Abschlussfilm genau auf ihre Figuren, konturiert sie klug, nämlich nicht aufdringlich, und sie verurteilt sie nicht. Falsche Entscheidungen, latentes Schweigen, der Wille und das Unvermögen, aufeinander zuzugehen – der Film exerziert in netto 75 Minuten eine Konstellation zweier Frauen durch, die sich selbst und einander annehmen müssen.

Total Eclipse of the Heart schmettert Bonnie Tyler auf dem Soundtrack, es ist das Lied der Mutter-Tochter-Gemeinschaft, als Kind schon hat Caro das viel lieber gehört (und gesungen) als Tina Turner. Jetzt singt sie es erneut, beim Karaoke-Abend, und es ist nicht viel Gemeinschaftsgefühl übrig zwischen ihr und Mutter, ein diffuses Gefühl von Zurückweisung und Eifersucht mischt hinein, die Mutter und Jochen, der Beinahegeschiedene, die Vaterfigur; und Marie, die mit Caro so locker umgeht und dann mit ihrem Urlaubsflirt knutscht. Am nächsten Morgen wird Caro selbst mit Jochen rummachen. Nicht ernsthaft, eher als eine Art Übersprungreaktion. Und ihre Mutter wird umfallen: Broken-Heart-Syndrom, so die klinische Diagnose. Haben Frauen des Öfteren. Und in der Kegelbahn, wenn Caro mit Marie und deren Freunden einen Abend lang Spaß hat und vielleicht sogar so etwas wie Glück empfindet, singt Fuffifufzich aus dem Lautsprecher von einer polizeilichen Anzeige wegen Heartbreakerei.

Die Steine, die auf den Herzen liegen, sie fallen nicht so leicht.

 

 

 

Sprich mit mir (2023)

Nach einer Trennung fährt Karo mit ihrer Mutter Michaela für eine Woche nach Rügen. Was als spontaner Trip beginnt, entpuppt sich für die unterschiedlichen Frauen schnell als Reise in die Vergangenheit. Im Hotel lernen sie den frisch geschiedenen Jochen und seine pubertierende Tochter Marie kennen. Für Michaela ist Jochen ein Urlaubsflirt, Karo sieht jedoch vor allem die Vater-Tochter Beziehung, die sie nie hatte. Und sie begreift, dass diese Leerstelle sie immer noch davon abhält, endlich in ihrem eigenen Leben anzukommen. (Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2023)

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