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Alle wollen das Gold. Jalmari Helander inszeniert mit „Sisu“ einen haarsträubend brutalen Weltkriegs-Western, der es seinem Publikum jedoch zu einfach macht.

Sisu (2022)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Mit der Spitzhacke gegen Nazis

In „Sisu“ sind alle Hemmungen gefallen. Die Katastrophe ist eingetreten, bestialische Verbrechen wurden begangen und sie gehen noch weiter. In diesem Weltkriegsfilm von Jalmari Helander („Rare Exports“) liefert man sich in rauer Einöde ein Gemetzel sondergleichen. Da sind ein paar Nazis 1944 in Lappland unterwegs. Sie wissen längst um ihre drohende Niederlage und Hinrichtung. Gold soll ihnen nun helfen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Nur: Die Reichtümer befinden sich in den Händen eines ehemaligen Soldaten und der weiß sich zu wehren – so kurz und knapp die Ausgangslage für einen der wohl brutalsten Actionfilme der letzten Jahre.

Helander inszeniert diese Hatz als atemlose, getriebene Bewegung ohne Ziel. Nicht eher kann sie ruhen und sesshaft werden, bis sich ihr Blutrausch vollends entladen hat. Sisu entpuppt sich somit als Exploitationfilm oder besser gesagt Nazisploitationfilm in Reinform. Sein Autor und Regisseur entwirft eine Horde wandelnder Karikaturen, um sie in einem anderthalbstündigen Spektakel möglichst grausam aufeinanderzuhetzen. Irgendwann verliert es im wörtlichen Sinne jeden Boden unter den Füßen.

Jorma Tommila (Big Game) mimt dabei den wortkargen, raubeinigen Protagonisten, der doch glatt aus einem Western entsprungen sein könnte. Eigentlich wollte er vor dem Krieg in die Wildnis fliehen. Doch als man es auf sein ausgegrabenes Gold abgesehen hat, ist der ganze Horror zurück. Während es im Westernkino nun gern darum geht, die Grenzen zwischen Zivilisation und Wildnis abzustecken, entpuppt sich Sisu allein als absurde Gratwanderung zwischen Leben und Tod, Gewalt und noch mehr Gewalt. Zuerst kämpft man um den Schatz, später um Vergeltung. Eine nicht enden wollende Verfolgungsjagd durchmisst endzeitliche Landschaften und Jalmari Helander und Kameramann Kjell Lagerroos ringen ihnen äußerst eindringliche Bilder ab.

Ihre imposanten Naturaufnahmen atmen das Morbide und Barbarische: Gerippe liegen unter trübem Himmel, ein Panzer walzt sich rumpelnd seinen Weg, Orte brennen und verkohlen. Dazwischen werden Gliedmaßen zerstochen, Körper zerhackt, gesprengt und blutende Verletzungen genäht. Falls sich tatsächlich irgendwann jemand an eine Verfilmung des berüchtigten apokalyptischen Westernromans Blood Meridian von Cormac McCarthy wagt, dann sollte man Helander dafür als Regisseur näher in Betracht ziehen.

Wenn Kino mit so viel Schmutz und Gewalt also in der Lage ist, zum Unmoralischen zu verführen, historische Gräuel zu rächen und ins Irrwitzige zu übersetzen, dann ist Sisu in dieser Hinsicht mit allen Wassern gewaschen. In sechs große Kapitel ist er unterteilt. Sie tragen Namen wie „Das Minenfeld“, „Die Legende“ oder „Töte sie alle“ und sie versprechen nicht zu viel. Dennoch wäre es zu kurzgegriffen, Helanders Werk damit als bloßes Splatter-Entertainment für hartgesottene Erwachsene beruhen zu lassen.

Unmoralisches zu zeigen, meint hier, es den Tätern mit aller Gewalt physisch heimzuzahlen. Eine solch zugespitzte Umkehr auf der Leinwand fordert erzählerisches Fingerspitzengefühl und Reflexionsvermögen, gerade wenn es um das finstere Kapitel nationalsozialistischer Verbrechen geht. Das Exploitation-Kino mag sich dabei seine eigenen Regeln und Tabus formulieren, doch kann sich Sisu einen ärgerlichen Beigeschmack nicht vertreiben. Sein zynisches Drehbuch erreicht nämlich in keiner Weise ein anregendes Niveau, wie es zuvorderst dem verwandten Inglourious Basterds von Quentin Tarantino gelungen ist. Wo dieser spielerisch in Grauzonen operierte, überraschte, Machtverhältnisse studierte und letztlich zum Kino und seinen Mitteln selbst vordrang, erzählt Sisu allein über seine stumpfe Gewalt, ohne irgendeinen Bruch zu wagen. Ihm fehlt das Fordernde und wird dadurch umso geschmackloser.

Ein wirkmächtiges Erlebnis ist das zweifellos. Es umfasst nicht nur das schmerzhafte Zusammenzucken, wenn hier in Nahaufnahme Schenkel auf Stangen gespießt oder in Wunden gepult wird. Daneben birgt es auch ein zu simples, anbiederndes Überlegenheitsgefühl. Man bejubelt die reißerische Action und kann die Geschichte ihrer selbst überlassen. Das konsequente Verabscheuen von Kriegsverbrechern und Mördern schlachtet hier ein Stellvertreter-Opfer nach dem anderen, damit sich das Publikum von seiner eigenen Verantwortung süffisant lossagen kann. Es darf sich in Sisu nach der Utopie eines Endes und einer Überwindung des ultimativen Bösen sehnen, welche die Realität nie bieten wird. Darf ein Film also auf solch polemische Weise mit dem Abgründigen verfahren? Gewiss. Ist blutiger Exzess aber von seiner Verantwortung als Zeit- und Gesellschaftszeugnis befreit? Zumal er sich so konkret historisch verortet? Keineswegs. Sisu entpuppt sich vor dieser Herausforderung als drastischer, zwiespältiger Diskussionsbeitrag.

Sisu (2022)

Als ein ehemaliger Soldat, der in der lappländischen Wildnis Gold entdeckt hat, versucht, die Beute in die Stadt zu bringen, wird er von Nazi-Soldaten unter der Führung eines brutalen SS-Offiziers bekämpft.

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