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Rocketman ist die überraschende Geschichte eines kleinen, pummeligen Engländers namens Reggie, der eines Tages die gesamte Welt als Elton John entzücken wird. Doch was ist der Preis, den er dafür zahlen muss?

Rocketman (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Unverschämt unbeschämt

Gleich vorab: Es ist vielleicht etwas unfair, mit solch großer Geste in die Kritik zu „Rocketman“ einzusteigen, aber Dexter Fletcher biografisches Musical zu Elton Johns Leben und Werk ist genau das, was „Bohemian Rhapsody“ sein wollte, aber nie auch nur annähernd wurde. Denn im Gegensatz zu „Rocketman“ fürchtete sich der Freddie-Mercury-Film vor seiner eigenen Queerness. Wie ärgerlich war es zu sehen, wie einer wie Freddie Mercury so dermaßen maßgeschneidert heteronormativ und so ohne Glanz und Glitzer gezeigt wurde.

Rocketman hingegen hat nicht eine Sekunde lang solche Berührungsängste, auch wenn man hier bestimmt das gleiche Geunke gehört hat: Eine glitzernde, aufgeregte, männliche, aber nicht so richtig maskuline und noch dazu schreiend homosexuelle Hauptfigur — das geht nicht! Das will doch keiner sehen. So einer trägt doch keinen Film. Doch. Tut er. Zu sehen an Taron Egerton, der seinen Elton John spielt, als hätte er niemals im Leben etwas anderes getan. Schon gleich der Einstieg des Films zeigt deutlich, dass Queerness, camp, unfassbar übertriebene und genau deshalb tolle Kostüme gar kein Problem sind. In einem riesigen, glitzernden Kostüm mit meterlangen, rotfedrigen Engelsflügeln und einer roten, strasssteinbesetzten Teufelskappe tritt Elton John ein in eine Halle, geht dann in einen langen Gang, der ihn, so vermutet man automatisch, zu einer Bühne führen wird. Doch sein Weg führt in eine Therapiegruppe. Elton, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, ist am Ende. Alkohol, Kokain, Sex, Einkäufe — die Liste seiner Vergnügungen, die zu Abhängigkeiten geworden sind, ist lang. „Wie warst du denn als Kind?“ fragt die Therapeutin und setzt damit ein phänomenales Musical in Gang, das in absoluter Perfektion die bekannten Songs von Elton John zu seinem Leben neu ins Verhältnis setzt.

Es ist klar, wo die Reise am Ende hinführen wird. „I’m still standing, after all this time …“ wird John singen, doch der Weg dahin ist hart. Der junge Elton, da noch als der kleine, schüchterne, pummelige Reggie aus England bekannt, hatte schon früh großes Talent fürs Klavier und ein perfektes Gehör noch dazu. Was Reggie allerdings nicht hat, sind liebende Eltern. Die Mutter, verbittert und einsam, vermag für das Kind keine Liebe aufzubringen. Der Vater, steinkalt, sieht in dem Jungen nur das Kind, das ihm das Leben versaut hat. „Wann umarmst du mich?“, fragt Reggie eines Tages seinen Vater. Er solle nicht so weich sein, so werde aus ihm nie ein Mann, antwortet dieser.

Damit ist auch das große Thema des Films gesetzt. Es ist nicht, wie man bei einer Künstlerbiografie denken würde, die Musik, sondern vielmehr das Leben Elton Johns, das um ein Haar an zwei Dingen gescheitert wäre: den toxischen Ideen von Maskulinität, mit denen er aufwuchs und die er nie erfüllen konnte, und die Homophobie, die er als Kind schon erahnt und die ihn jahrelang in seiner Hochzeit begleiten und quälen sollte. Kurzum, egal wie erfolgreich und reich, die Message bleibt die gleiche: Niemand wird dich jemals lieben, wenn du so (schwul) bist, wie du bist.

Dies setzt nun ganz neue Akzente im Interpretieren dieses Ausnahmekünstlers, über dessen völlig verrückten, überdimensionalen, voll Farbe und Glitzer nur so explodierenden Kostüme bestimmt jeder von uns schon einmal geschmunzelt, wenn nicht gar gelacht hat. Doch Johns camp, seine überschwänglichen Auftritte, sie alle zeigen sich in einem neuen Licht, denn der Film erlaubt nicht nur, er besteht förmlich darauf, dass man den Mann dahinter kennenlernt. Und dies tut er mit herzerwärmender und ehrlicher Vehemenz, die nichts auslässt, um das vielleicht pikierte Publikum nicht zu verstören. Genau das macht Rocketman zu einem guten Film. Er verrät seine Figur nicht, sondern gibt ihr ehrliche Dreidimensionalität, die auch die dunklen Seiten des Mannes nicht ausspart. Genauso konsequent wird auch mit der Homosexualität Elton Johns umgegangen. Egal ob Küsse oder eine Sexszene mit seinem späteren Manager (Richard Madden) — Rocketman verweigert sich der Beschämung oder Beschämtheit in jeglicher Form. Selten sieht man gleichgeschlechtlichen Sex unter Männern, der nicht nur angedeutet wird. So gut wie nie wird dieser dann noch so klug, liebevoll und ästhetisch eingefangen, wie in diesem Film.

Ähnlich verhält es sich mit den Musical-Anteilen. Nie kommen sie gezwungen vor. Immer bereichern sie die Geschichte des Films, tragen diese weiter, verleihen ihr Tiefe. Dass Fletcher dabei darauf verzichtet, die Songs in korrekter zeitlicher Einordnung zu spielen und ihren Worten gleichsam eine völlig neue Bedeutung zuteilwerden lässt, ist nicht nur klug, sondern ein Segen. So sehen sie aus, die Musicals, die nicht einfach auf Spektakel aus sind, sondern wirklich etwas zu erzählen haben.

Rocketman (2019)

„Rocketman“ erzählt die Lebensgeschichte von Elton John von seinen Jahren an der Royal Academy of Music über seine musikalische Partnerschaft mit Bernie Taupin. 

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Meinungen

Kubi · 06.06.2019

So erfrischend offen wie in Rocketman mit der Sexualität auch umgegangen wurde, so fand ich, es wurde viel zu wenig auf die Karriere von Elton John eingegangen, sondern alles nur auf dieses Thema abgestellt. Außerdem fand ich das musikalhafte Gesinge und Tänze am Anfang des Films absolut lästig, da zusammenhanglos und zu amerikanisch. Wäre der Film so weitergegangen, hätte ich das Kino verlassen.

Ana · 02.06.2019

Jedes Wort in dieser Kritik trifft auch meine Empfindungen, nachdem ich den Film gestern gesehen habe.
Hervorheben möchte ich noch die Leistung von Jamie Bell als langjähriger Freund und Texter Elton Johns, der mir ausgesprochen gut gefallen hat!