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Keine Märchenvorlage, keine Gesangseinlagen, kein starker Mann, der in letzter Minute zur Rettung eilt: „Raya und der letzte Drache“ macht im Kontext klassischer Disney-Prinzessinnen-Geschichten so einiges anders. Leider nicht genug.

Raya und der letzte Drache (2021)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Heldin in der Vertrauenskrise

Vor fünf Jahren geschah etwas, das in der Historie der Disney Animation Studios ungewöhnlich war: In Vaiana (2016) wurde erstmals die Geschichte einer weiblichen Hauptfigur aus einer Herrscherfamilie erzählt, für die es keine unmittelbare Vorlage gab. Nun bekommt die Riege der Disney-Prinzessinnen abermals Zuwachs: Raya ist ihr Name, und wie für Vaiana gab es auch für sie keine direkte Inspirationsquelle. Stattdessen ist „Raya und der letzte Drache“ ein Amalgam zahlreicher kultureller Einflüsse, allem voran aus dem südostasiatischen Raum, garniert mit einem modernen Young-Adult-Plot.

Kumandra heißt das magische Land, in dem Raya (im Englischen gesprochen von Kelly Marie Tran, Star Wars Episode 8) aufwächst. Einst existierten hier Menschen und Drachen friedlich nebeneinander. Dann jedoch wurde es von einer dunklen Macht überfallen, die nur von den Drachen, zugleich Quelle allen Wassers und damit Lebens, versiegelt werden konnte. Dafür wurden die edelmütigen Wesen zu Stein. Statt sich von ihrem Opfer inspirieren zu lassen, sind die Menschen 500 Jahre später in fünf verfeindete Stämme zerfallen. Raya gehört zu jenem, der das Drachenjuwel schützt, das Artefakt, das die dunkle Macht weiterhin im Zaum hält. Bei einem diplomatischen Treffen werden Raya und ihr Vater, der Anführer seines Stammes, hintergangen, das Juwel zerbricht in fünf Teile und die zerstörerische Magie fegt erneut übers Land, alles versteinernd, was sie berührt. So auch Rayas Vater.

Die junge Frau zieht hinaus in die Welt, angetrieben von Schuld und dem innigen Wunsch, ihren Vater zu retten. Hoffnung schöpft sie aus der Legende von Sisu, dem letzten Drachen oder eher: der letzten Drachin, die am Ende eines Flusses in ewigen Schlaf verfallen sein soll. Und tatsächlich wird Raya nach sechs Jahren fündig: Sie erweckt Sisu (gesprochen von Awkwafina, The Farewell) wieder zum Leben, ein drei Meter großes, elegantes rosa-blaues Geschöpf, optisch eine Mischung aus Fuchur (Die unendliche Geschichte) und den Einhörnern aus My Little Pony. Doch dieser Drachin fehlen zwei entscheidende Dinge: soziale Kompetenz und die nötige Magie, um die dunkle Macht erneut zu bändigen. Um das zu schaffen, müssen die fünf Juwelenstücke, die sich jeweils im Besitz der Stämme befinden, wieder zusammengesetzt werden.

Für Raya und Sisu beginnt damit eine Reise quer durch alle Länder, karge Wüsten und in eine auf dem Wasser errichtete Stadt, auf verschneite Berge und in riesige Festungen, bei der beide einerseits immer neue Gefährten um sich sammeln, andererseits persönlich reifen. Raya, die in ihrer Jugend verraten wurde und ihren Mitmenschen seitdem tiefes Misstrauen entgegenbringt, muss (erneut) lernen, anderen zu vertrauen. Sisu hingegen, der die Welt und Gepflogenheiten der Menschen unbekannt sind, entwächst allmählich ihrer anfänglichen Fish-outta-Water-Rolle und münzt ihre außergewöhnliche Stellung in dieser Welt in eine moralische Mentorinnen-Position für Raya um.

So grundlegend solide und fehlerfrei die Charakterzeichnung der Figuren auch ist, so erwart- und berechenbar sind die Bahnen, in denen ihre Entwicklung verläuft. Raya und der letzte Drache folgt penibel seiner in fünf Akte aufgeteilten Erzählstruktur, jeder findet in einem anderen Stammesgebiet statt, die einzelnen Plot- und Wendepunkt sind für halbwegs geschulte Augen schon aus weiter Entfernung voraussehbar. Deutlich kreativer ist da der Weltentwurf geraten, der als dystopisch angehauchtes Fantasy-Szenario mit seltsamen Tierwesen (Rayas Reittier ist eine Mischung aus Bär und Gürteltier) und verschiedensten kulturellen Einflüssen daherkommt. Western-Elemente treffen hier auf Indiana-Jones-eske Tempelruinen, WikingerInnen koexistieren neben einem Clan von WüstenkriegerInnen, die paradiesische Ruhe tropischer Urwälder steht dem geschäftigen Treiben einer Handelsstadt gegenüber. Mehr als die Oberfläche dieser unterschiedlichen Lebensräume touchiert Raya und der letzte Drache allerdings nicht, tiefere Einblicke in soziale und kulturelle Strukturen bleiben aus. Daran hindern den Film sowohl sein strenger Fokus auf die Hauptfiguren als auch sein hohes Erzähltempo, das den Plot sogleich zum nächsten Schauplatz hetzt. Gern würde man hier und da einfach länger verweilen – und es würde nicht überraschen, wäre bei Disney nicht bereits eine Nachfolgeserie in Arbeit, die diese Welt weiter ausbaut.

Dem Film fehlt es letztlich aber auch an mitreißender Energie, jenem Verve und Schmiss, der etwa Vaiana (unter anderem dank der Songs) oder Rapunzel – Neu verföhnt (dank des Humors) aus der Animationsfilmmasse herausstechen ließ. Das liegt weder an der reduzierten Komik, die vor allem über Sisu und ein Quartett aus Nebencharakteren bestehend aus drei Affen und einem Baby transportiert wird. Noch liegt es am Fehlen von Gesangseinlagen, was wohl in erster Linie Geschmackssache ist. Sondern daran, dass Raya und der letzte Drache in einer außergewöhnlichen Welt spielt, darin aber eine allzu gewöhnliche Heldenreise erzählt.

Raya und der letzte Drache lässt also einiges an Potential liegen, aber dennoch nicht enttäuscht zurück. Der erzählerische Kern – ein Plädoyer für die Fähigkeit, Vertrauen in andere setzen zu können und damit Grenzen und alte Feindschaften zu überwinden – zieht sich zunächst unterschwellig durch den gesamten Film, bevor er letztlich konsequent ausgearbeitet wird und in einem großen Finale mündet. Die Figuren beeindrucken durch ihre Diversität. Und die beiden gänzlich konträr angelegten Hauptakteurinnen ergänzen sich zu einem sympathischen Duo, dem man gern durch diese Welt folgt. Trotz vier Nennungen auf dem Regieposten und acht (!) Story-Credits ist Raya und der letzte Drache ein erstaunlich kohärentes, auf Plot-Ebene aber leider recht generisches Gesamtwerk.

Raya und der letzte Drache (2021)

Raya and the Last Dragon spielt im fiktiven Land Kumandra. In dem Land lebten auch einst Drachen, die jedoch infolge einer dunklen, finsteren Macht verschwunden sind.

An diesem Ort lebt die Kriegerin Raya, die sich gemeinsam mit einer Gruppe von Außenseitern auf den Weg macht, den letzten Drachen zu finden. Dieser soll Licht und Einheit in die Welt zurückbringen. Letztendlich findet Raya den Drachen Sisu, der jedoch in menschlicher Gestalt auftritt. Raya verhilft Sisu, ihre Kräfte wiederzuerlangen, damit Sisu wieder in Drachengestalt auftreten kann.

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