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In Yoshinobu Senas „Over the Sky“ ist eine Schülerin von ihren Gefühlen überfordert – und gerät in eine fantastische Welt, in der sie sich mit ihren persönlichen Wünschen befassen muss.

Over the Sky (2020)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Welt, die wir uns wünschen

Liebesdreiecke haben scharfe Kanten; rasch führen sie bei allen Beteiligten zu tiefen Verletzungen. Davon lässt sich zum einen auf recht banale Art und Weise erzählen, indem es etwa die intrigante Dritte oder den brutalen Dritten gibt, die aus Eifersucht für Probleme und Eskalation sorgen und dadurch das klar füreinander bestimmte Paar vom gemeinsamen Glück abhalten wollen. Zum anderen gelingt es einigen Werken aber auch, die besonderen Dynamiken und Komplikationen innerhalb einer Dreiecksbeziehung ernst zu nehmen und somit allen drei Figuren und Positionen gerecht zu werden.

Durch die sensible Schilderung seines Ausgangskonflikts zählt das animierte Abenteuer Over the Sky von Yoshinobu Sena ganz ohne Zweifel zu letztgenannten Filmen. Ehe sich die Geschichte den Fantasy-Elementen zuwendet, wird hier ein klassisches Coming-of-Age-Setting geschaffen: Die Jugendlichen Mio, Shin und Madoka besuchen eine Schule im Umkreis des Stadtviertels Ikebukuro im Bezirk Toshima in Tokio. Sie sind seit vielen Jahren miteinander befreundet – doch insgeheim empfindet die leicht verträumte Mio mehr für ihren „Kumpel“ Shin.

In schönen, allerdings nicht kitschigen Bildern fängt der Film Mios wachsende Zuneigung zu Shin ein – etwa wenn die beiden nach dem Unterricht zusammen das Aquarium des hippen Sunshine-City-Komplexes besuchen und sich anschließend an die Küste begeben, weil Mio so gerne mal einen Wal sehen würde. Als Madoka Mio indes kurze Zeit später gesteht, dass sie selbst gerade dabei ist, sich in Shin zu verlieben, ist das emotionale Dilemma, in das Mio durch die Offenbarung ihrer besten Freundin gerät, ebenfalls absolut nachvollziehbar.

Ohne die Dramatik künstlich zu übersteigern, dringt Over the Sky behutsam und zugleich mit der nötigen Dringlichkeit in die Gefühlswelt junger Menschen ein. Wir erleben mit, wie Mio sich von Shin distanziert und dies bald wieder bereut. Als sie bei einem heftigen Unwetter aufbricht, um Shin die Wahrheit zu sagen, landet Mio an einem seltsamen Ort, an dem ihr niedliches Kuscheltier mit einer überraschend wenig niedlichen Stimme mit ihr sprechen kann. In der Gestaltung dieser Umgebung, die im Kern noch der urbane Raum ist, den wir zuvor kennengelernt haben, die jedoch nach völlig eigenen Regeln funktioniert, erweist sich der Film als überaus kreativ und spielerisch.

Der Protagonistin wird hier die Möglichkeit gegeben, alle negativen Erinnerungen abzulegen und durch eine Tür als „geheilte“ Person ohne Wunden in eine Wunschwelt einzutreten. Aber wie würde so etwas überhaupt aussehen? Und gibt es nicht doch Gründe, trotz aller Nachteile und Verletzungsgefahren in die Realität zurückzukehren?

Letztlich geht es in Over the Sky auch darum, sich den eigenen Ängsten zu stellen, statt vor allem, was unangenehm sein kann, einfach davonzulaufen – und sich mit Hürden und Widerständen auseinanderzusetzen, statt sich sofort von ihnen entmutigen zu lassen. Mio erweist sich dabei als spannende Heldin mit Identifikationspotenzial, die allmählich lernt, ihre Bedürfnisse stärker zu vertreten und ihre Gefühle nicht länger zu verstecken.

Over the Sky (2020)

Seit ihrer Kindheit sind Mio und Arata miteinander befreundet, und dennoch kommt es immer wieder zu kleinen Missverständnissen, da sich mit der Zeit ihre Gefühle füreinander verändert haben. Ein nichtiger Anlass genügt, um Mio derart aufzubringen, dass sie ihren Freund stehenlässt, nach Hause auf ihr Zimmer flüchtet und seine Anrufe ignoriert. Von Reue gepackt, macht sie sich später im strömenden Regen mit dem Fahrrad auf den Weg zu ihm, um sich zu entschuldigen.

Da geschieht das verhängnisvolle Unglück, und sie findet sich in eine Welt versetzt, die ihr fremd und vertraut zugleich vorkommt. Ihr Stofftier, das auf einmal zu sprechen beginnt, stellt sich als ihr Beschützer und Führer in dieser seltsamen Welt vor und erklärt ihr, dass sie in diesem jenseitigen Reich nun nichts mehr zu befürchten habe. Aber das muss doch ein Irrtum sein! Nein, Irrtum ausgeschlossen. Einen Weg, wieder in die alte Welt zurückzukehren, gibt es dennoch: Wenn sie sich genau an das Wichtigste erinnert, das sie noch zu erledigen hat, und das am Fundsachenschalter meldet, erhält sie eine Fahrkarte, mit der sie wieder zurückreisen kann. Aber die Erinnerung von Mio schwindet zusehends. Sie wollte Arata dringend noch etwas mitteilen, das weiß sie … aber was war es denn noch gleich?(Quelle: https://www.anisearch.de)

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