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Die Klimakrise betrifft alle – aber vor allem die, die jetzt jung sind. „Now“ porträtiert Vertreter*innen einer Generation, die sich nicht mit einer unwilligen Politik abfinden: 2019 war das Jahr der großen Klimaproteste und Jim Rakete war mit dabei, von den ersten Berliner Demos bis zum UN-Gipfel in New York.

Now (2020)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Klimakrise ist jetzt

Höchste Zeit. Das ist das Thema des Films, das ist die Aussage seiner Protagonist*innen. Das ist das, was jeder verstehen muss. Wir stecken mittendrin in der Krise, und sie wird sich verschärfen: Das Klima erwärmt sich und die Folgen werden fatal sein, wenn keiner was tut. In seinem ersten Langdokumentarfilm porträtiert Jim Rakete einige von denen, die voranschreiten im Handeln gegen die Klimakatastrophe – nicht als persönliche Porträts, nicht als Vorstellung von Individuen, sondern als Vertreterinnen und Vertreter einer Generation, einer Bewegung, die enttäuscht wurde und die nun ran muss. Ob sie will oder nicht – weil die, auf die es ankommt, offenkundig nicht wollen.

Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände, Plant for the Planet und und und: Das Jahr 2019 war ein Jahr des Protestes gegen Ignoranz oder Unfähigkeit oder Unwillen in Politik und weiten Teilen der Gesellschaft, sich der Krise zu stellen. Demonstrationen, Aktionen, Protest; Greta Thunberg, Klimakonferenz in Kattowitz, UN-Gipfel in New York: Die Jugend formiert sich weltweit gegen desaströse Umwelt- und Klimapolitik. Und jetzt kommen die Filme zum Thema ins Kino: I am Greta, der Dokumentarfilm, der Thunberg ganz nahe kommt, lief im Oktober in den Kinos – auch in den Multiplexen, und Jim Raketes Now ist so eine Art Ergänzung und Erweiterung.

Thunberg ist immer wieder im Bild, sie ist die Ikone nicht nur für Fridays for Future. Doch sie ist nicht die einzige, und Schulstreiks sind nur eine Form, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen und das Bewusstsein zu schärfen. Ende Gelände kämpft gegen den Braunkohleabbau und damit gegen den Raubbau an der Landschaft und am Klima; Extinction Rebellion geht radikale Wege des zivilen Ungehorsams; Youth v. Gov verklagte die US-Regierung wegen Körperverletzung durch Zulassen der Klimaerwärmung. Und es gibt Initiativen, die Protest mit Lösung verbinden: Plant for the Planet will eine Billion Bäume pflanzen, Pacific Garbage Screening hat sich der Säuberung der Ozeane, ja der Welt von Kunststoffen verschrieben.

Jim Rakete ist einer der profiliertesten deutschen Fotografen, international: Mit seinen Fotografien ist er ein wichtiger Teil der Popkultur der letzten Jahrzehnte, machte Stars zu Ikonen; und er war dabei, startete seine Karriere in der ’68er-Bewegung. Nun fragt er sich durch die neue Jugendbewegung, neugierig und empathisch, aber nicht propagandistisch. Luisa Neubauer, Felix Finkbeiner, Nike Mahlhaus und so weiter geben Auskunft über die Perspektive von Fridays for Future, Plant for the Planet, Ende Gelände – und über die Perspektiven, die sich ergeben, wenn Hunderttausende auf die Straße gehen und die paar, auf die es ankommt, die Politiker und Anführer der Menschheit, dann doch eher wegschauen.

Zudem erweitert Rakete den Blick, fragt nicht nur bei den Initiativen nach, was ihre Ziele sind und wie sie erreichbar scheinen, sondern befragt auch Wissenschaftler: So ergibt sich weit mehr als ein filmisches Präsentieren verschiedener Aktivistengruppen. Denn es geraten die Zusammenhänge in den Blick; der Ruf nach climate justice ist auch ein Ruf nach Beendigung von racial injustice, ein Ruf nach einem anderen Wirtschaftssystem, nach einem neuen Verhältnis zum Erdboden, zu Tieren und Pflanzen, nach einem neuen sozialen Bewusstsein, das sich nicht im Neoliberalen und im Neodarwinistischen erschöpft. Rakete lässt aber auch Widersprüche zwischen den verschiedenen Experten zu: Es gibt nicht den einen Weg und es gibt nicht die eine Meinung. Aber das Ziel ist allen gemeinsam: ein besseres Leben durch nachhaltiges Leben.

Wenn Jim Rakete Regie führt, dann sehen die Bilder selbstverständlich gut aus. Er ist der perfekte Regisseur für das Konzept des Films, das Claudia Rinke erstellt hat: Denn Now zeigt nicht zuletzt, wie ein Talking-Head-Dokumentarfilm funktionieren kann. Menschen, die interviewt werden und ihre Sicht der Dinge durch ihr Reden ausbreiten – das kann langweilig wirken, und es wirkt in vielen, anderen Fällen auch langweilig. Rakete aber weiß seine Bilder sanft zu stilisieren, durch die Kameraperspektive, durch die Verwendung von Licht; und er weiß, welche Aussagen wichtig sind: Seine Montage bringt die Aussagen auf den Punkt, überflüssig ist hier nichts. Da mit ihm ein Vertreter einer weit älteren Generation die Fragen stellt, kommt auch subtil im Hintergrund die Frage auf, wie nachhaltig die Klima-Jugendbewegung ist und sein kann – die alten Rakete-Kumpels Patti Smith und Wim Wenders stehen für diesen Aspekt Pate: Wie lange kann die Klimabewegung Bestand haben und ihre Kraft entfalten? Eine Frage, die sich mit der akuten Krise der weltweiten Pandemie umso dringender stellt. Auch wenn im Film das Virus nicht vorkommt, ist eines sicher: Dass durch die akute Krise der Corona-Pandemie die langfristige Krise des Klimas nicht verschwindet.

Now (2020)

Ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre seit dem Pariser Klimaabkommen 2015, ein Blick auf die tickende Uhr. Was ist eigentlich seitdem passiert? Längst nicht genug, findet Generation Greta, eine moderne Generation junger Klimaaktivisten. Die einstige Politikverdrossenheit hat sich, ausgehend von Greta Thunbergs Schulstreik für das Klima, gewandelt: Die Jugend hinterfragt, misstraut und rebelliert. Gemeinsam machen sie das Jahr 2019 zum Jahr ihres Protests! Mit zivilem Ungehorsam, Streiks und Demos gehen sie gegen Regierungen und Energiekonzerne vor. Die Zukunft ist massiv bedroht durch globale Erwärmung, Ausbeutung fossiler Bodenschätze und Verschmutzung der Umwelt. „Now“ erzählt von der Macht einer neuen, weltweiten Bewegung. Denn was immer geschehen muss, muss JETZT geschehen.

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