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Die Uckermark: Angela Merkel ist hier aufgewachsen; der von Tucké Royale gespielte Protagonist aus Johannes M. Schmits Debütfilm lebt hier immer noch, möchte wie die Kanzlerin aber nach Berlin. Ob er es schafft, zeigt dieser queere Heimatfilm.

Neubau (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Leere, Leben, Libido

Queere Menschen leben nicht nur in der Großstadt, auch wenn Filme über sie allzu gern in Metropolen spielen. Der Theaterregisseur Johannes M. Schmit hat sein Spielfilmdebüt dort angesiedelt, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Das hält seinen Protagonisten nicht davon ab, von einem Neuanfang in Berlin zu träumen. Ein Heimatfilm, wie es im Abspann heißt. Ein queerer obendrein, aber eben nicht nur.

Markus (Tucké Royale) sitzt auf gepackten Koffern. Seine Neubauwohnung ist so gut wie leer geräumt. Sein Sehnsuchtsort heißt Berlin. Doch genauso wie der erfrischend offenherzig gezeigte Sex, mit dem Johannes M. Schmit in seinen Film einsteigt, wird auch Markus‘ Aufbruch in ein neues Leben von seinem alten Leben unterbrochen. Das Handy klingelt, und er lässt alles stehen und liegen.

Die Familie ruft. Nicht Mutter oder Vater; die sind gestorben oder irgendwo im Westen. Die Liebe zu seinen zwei Großmüttern Alma (Jalda Rebling) und Sabine (Monika Zimmering) hält Markus in der Uckermark. Alma ist dement und wenn sie wieder einmal ausgebüxt ist, greift Sabine zum Telefon. Dann eilt Markus zu Hilfe und die zwei sammeln Alma irgendwo auf einem Feld beim Blumenpflücken ein.

Über die Figuren erfahren wir nicht viel – oder besser gesagt: nicht direkt. Viele Details sind nur einmal im Bild. Wer zweimal blinzelt, verpasst sie. Letzten Endes spielt das aber keine Rolle, weil es Schmit nicht um Konflikte mit der Norm geht, sondern darum, „die Lebenswelt einer sehr besonderen Figur in allen Aspekten sichtbar zu machen“, wie er über Neubau gesagt hat. Das gelingt dem Film sehr gut, indem er seinen Figuren einfach beim Leben zusieht.

Markus etwa ist, wenn er nicht gerade seine Großmütter besucht, die meiste Zeit allein. An seinen Gedanken lässt er uns nicht teilhaben. Und dennoch setzt sich aus seinem stoisch beobachteten Alltag allmählich ein Mensch zusammen, mit dem wir mitfühlen. So beiläufig und natürlich, wie Smina Bluth dieses Landleben mit der Kamera festhält, spielt auch Hauptdarsteller Tucké Royale, der das Drehbuch geschrieben und den Film coproduziert hat.

Dieses Leben ist entschleunigt, aber keine Idylle wie in den Hochglanzmagazinen, die für gestresste Großstädter produziert werden. Markus ist arbeitslos und jobbt auf einer Straußenfarm. Sein Auto, mit dem er über die Straßen der Uckermark rast, ist klein, uralt und so reparaturbedürftig wie seine Seele. Markus sehnt sich nach Liebe und Lust. Und als er Duc (Minh Duc Pham) trifft, hat er beides vielleicht gefunden. Doch Duc ist in der Provinz zufrieden, während die Vorstellungen von einer queeren Community, die der Film wie halluzinierte Tagträume ins Bild rückt, Markus weiterhin nach Berlin locken. 

Der Ausgang bleibt offen. Am Ende ist Neubau aber nicht nur ein queerer Heimatfilm, sondern auch einer über die Liebe, das Leben und das Sterben. Wer weiß schon, ob der Alltag in der Millionenstadt besser wird? Für Markus geht es auch darum, mit der Leere und seiner Libido leben zu lernen. Vielleicht hilft ihm die Liebe dabei.

Neubau (2020)

Sommer in der Brandenburger Provinz. Markus ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seinen pflegebedürftigen Omas und der Sehnsucht nach einem anderen Leben in Berlin. In Tagträumen erscheint ihm immer häufiger eine Schar schillernder Dämonen als Vorboten einer queeren urbanen Wahlfamilie. Als er sich in Duc verliebt, wird alles noch komplizierter. Denn eigentlich stehen in Markus‘ Neubauwohnung schon die gepackten Kisten für den Umzug in die große Stadt.

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Meinungen

duc duc · 30.06.2021

Zum Sterben langweilig dieser Plott.