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In seinem Boxclub in München trainiert Ali Jugendliche verschiedener Nationalitäten, die einen Ausgleich zu ihrem sonst weitgehend perspektivlosen Leben suchen. Der Dokumentarfilm von Antje Drinneberg erzählt vom Lebenswillen und der Leidenschaft dieser jungen Menschen, die sich nach Wertschätzung sehnen.

Lionhearted - Aus der Deckung (2019)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Boxen als Abbild des Lebens

Ali Cukor war in seiner Jugend Boxer, nun trainiert er eine wilde Truppe Jugendlicher verschiedener Herkünfte und sozialer Verhältnisse, die im TSV 1860 München so etwas wie eine Ersatzfamilie suchen. In Ali finden sie eine wohlwollende, aber dennoch strenge Vaterfigur, die ihnen klare Regeln vorgibt und die sie respektieren. Er weiß, dass sie in ihrem Leben Halt brauchen, aber auch ein Ziel und vor allem Erfolgserlebnisse.

Da Ali türkischstämmig ist, also selbst einen Migrationshintergrund hat, übt er auf die Jugendlichen in seinem Klub eine ganz andere Autorität aus, als es vermutlich jemand ohne eine ähnliche Erfahrung tun würde. Indem er seine Schützlinge motiviert und sie für ihre Leistung belohnt, gibt er ihnen Selbstvertrauen und Würde, die offensichtlich einigen von ihnen in der Zwischenzeit abhanden gekommen ist.

Das Leben sei ein Abbild des Boxens, sagt Ali einmal im Dokumentarfilm von Antje Drinnenberg: Lionhearted – Aus der Deckung. Damit meint er, dass beides aus einem kontinuierlichen Kampf, sowohl metaphorisch als auch wortwörtlich verstanden, und von sich abwechselnden Siegen und Niederlagen bestehe. Der Sport vermag Kräfte zu kanalisieren, die sich sonst auf eine andere Weise Ausdruck verschaffen. Oder um es mit den Worten eines der Jugendlichen zu sagen: „Ich kämpfe, um nie wieder kämpfen zu müssen.“ Auch wenn der Ausspruch abgehobenen, aphoristisch sein mag, im Film wird klar, dass die Emotionen der Protagonisten authentisch sind. 

Dass dieser Eindruck entsteht, hängt entscheidend auch an der Leistung der Regisseurin, die es in jeder Weise vermeidet, ins Theatralische abzugleiten. Sie bleibt zwar ihren Protagonisten mit der Kamera sehr nahe, wahrt aber die nötige Distanz, die immer wieder eine Differenzierung und Kontextualisierung des Gehörten und Gesehenen ermöglicht. Die jungen Menschen, die sie begleitet, stilisiert sie weder zu bemitleidenswerten Opfern noch zu übernatürliche Helden. Vielmehr fängt sie sensibel die inneren Konflikte ein, die sie auf der Schwelle zum Erwachsenwerden beschäftigen. 

Gleichzeitig erzählt Lionhearted – Aus der Deckung von Jugendlichen, die durch äußere Umstände in ihrem Leben mit Zurücksetzungen konfrontiert sind oder waren. Der Film zeigt, dass die Frustration und die Wut, die daraus entstehen kann, etwas Universelles ist. Es spielt keine Rolle, woher man genau kommt, in diesen Gefühlen sind wir uns alle ähnlich. Wichtig ist, dass diese ernst genommen werden und dass die Menschen in ihren Bedürfnissen nicht nur Ablehnung erfahren. Ob nun Boxen oder eine andere Aktivität sei dahingestellt, nur von Bedeutung ist, dass jedem ein Rahmen geboten wird, in dem er sich wertvoll fühlt. 

Ohne Kommentare und auf die Kraft ihrer Bilder setzend, nimmt sich die Regisseurin als Akteurin im Film weitgehend zurück. Dass dies nicht vollständig geschieht, versteht sich von selbst, da sie durch ihre Perspektive zwangsläufig auch sich selbst in den Aufnahmen spiegelt. Einen Spiegel hält sie mit dem Film auch den Zuschauern vor. Sie konfrontiert einen mit den eigenen Ängsten oder Träumen und erinnert an Erfolge und Niederlagen, die einen geprägt haben. Besonders deutlich zwingt Lionhearted – Aus der Deckung zur Reflexion über die eigene privilegierte soziale Stellung. 

Dabei wäre die Konfrontation mit Alis Jugendlichen, die in Deutschland leben, eindrücklich genug. Doch führt die Reise noch nach Ghana, wo Ali ein Boxcamp mit jungen Menschen vor Ort organisiert hat. In Accra sollen alle gemeinsam trainieren. Unter der drückenden Hitze, auf improvisierten Plätzen und mit einem Bruchteil der Ausrüstung, die in Deutschland zur Verfügung steht, begegnen sich junge Erwachsene, denen der Wunsch nach Anerkennung in den leuchtenden Augen geschrieben steht. Unmittelbar und unverstellt fängt der Film diese Gesichter ein, die unweigerlich auf den Zuschauer einwirken und nachhaltig berühren. 

Mit ihrem Dokumentarfilm hat Drinnenberg ein empathisches Werk geschaffen, das durch den schnellen Schnitt und die dichte Inszenierung auch formal überzeugt. Das hoffnungsvolle Bild der Kameradschaft und des Zusammenhalts, dass sie damit präsentiert, stimmt versöhnlich und optimistisch.

Lionhearted - Aus der Deckung (2019)

Burak, Saskia und Raschad sind drei der Schützlinge von Boxtrainer Ali Cukur. Woche für Woche treffen sie sich zusammen mit zahlreichen anderen jungen Boxern in einer kleinen Halle des TSV 1860 München. Die meisten von ihnen haben viel durchgemacht im Leben. Für sie ist Ali Vorbild, Vater, Lebensretter. Im Ring bringt er ihnen bei, ihre Wut zu bändigen, die Kontrolle zu behalten. Boxen als Training für das echte Leben. Die Chance, Anerkennung zu finden und nicht auf die schiefe Bahn zu geraten.

Das alljährliche Boxcamp verlegt Ali nach Ghana. Konfrontiert mit den harten Bedingungen der ghanaischen Boxer in den Slums von Accra, beginnen die Jugendlichen, ihr Leben in Deutschland aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. So wird die Reise nach Westafrika für sie zu einer Reise zu sich selbst — zu ihren Ängsten, ihrer Zerrissenheit, aber auch zu ihrer Kraft und ihrem Selbstwertgefühl.

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