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In dieser Tragikomödie von Regisseur Colin West steht der bekannte Stand-up-Comedian Jimm Gaffigan als frustrierter Wissenschaftler am Rande des Nervenzusammenbruchs. In seiner Garage hat er Großes vor.

Linoleum - Das All und all das (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

The Science in Fiction

Wie es der Zufall will, kommen Anfang 2024 zwei kleine US-Komödien in die deutschen Kinos, deren Prämissen einander zum Verwechseln ähneln: Ein unbekanntes Flugobjekt kracht in einen Garten und wirbelt das Vorstadtleben durcheinander. Doch ist das wirklich Zufall? Oder ist am Ende alles Mathematik?

Geht es nach Dr. Fuller (Jay Walker), dem Mathelehrer an einer Highschool in einem verschlafenen Nest irgendwo in Amerikas Osten, dann ist alles eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Dass zwei seiner Schützlinge am selben Tag Geburtstag haben könnten, hängt für ihn einzig von der Klassengröße ab. Und schau an, kaum betritt mit Marc (Gabriel Rush) ein neuer Schüler das Klassenzimmer, beweist er Fullers Theorie. Der Neue hat am selben Tag Geburtstag wie Nora (Katelyn Nacon), die seine Banknachbarin wird. „It’s a match“, ruft der Lehrer freudig aus. Diese Verbindung, die keine himmlische, sondern eine naturwissenschaftliche ist, wird ein Leben lang halten.

Dass dem so ist, erfahren wir erst ganz zum Schluss, als sich all die zuvor verstreuten Einzelteile zu einem Ganzen zusammenfügen. Bis dahin glauben wir, ein typisches Familiendrama zu sehen. Nora und Marc tun, was Teenager so tun: nachts aus dem Haus schleichen, gemeinsam an den Bahngleisen, mit einem Bier in der Hand abhängen und über Gott, die Welt und Sex quatschen. Diese von Regisseur Colin West herrlich unaufgeregt eingefangene Coming-of-Age-Geschichte spiegelt die Midlife-Crisis, die Noras Eltern und Marcs Vater durchmachen. Es bleibt nicht die letzte Vervielfachung, Verschränkung und Verkehrung in diesem ausgeklügelten Film.

Im Zentrum steht Noras Vater Cameron (Jim Gaffigan), ein Wissenschaftler, der Astronaut werden wollte, es aber nur zum Moderator einer Kindersendung im Lokalfernsehen gebracht hat. Und nun wird Cameron ausgerechnet von Marcs Vater, dem Ex-Astronauten Kent (ebenfalls Jim Gaffigan), ersetzt. Der sieht Cameron zum Verwechseln ähnlich, ist charakterlich jedoch das genaue Gegenteil. Stand-up-Comedian Jim Gaffigan war auf der großen Leinwand bislang vornehmlich in Nebenrollen zu sehen. Mit Linoleum beweist er nicht nur, dass er einen Film tragen kann, er überzeugt auch gleich in zwei völlig konträren Rollen.

An Gaffigans Seite legt die aus dem Breaking-Bad-Spin-off Better Call Saul bekannte Rhea Seehorn ein weiteres Mal eine Glanzleistung hin. Sie spielt Camerons Frau Erin, die sich wie ihr Mann der Wissenschaft verschrieben hat. Einst moderierte sie an Camerons Seite die liebevoll gestaltete Kindersendung, die in ihren schönsten Momenten an die von Jim Carreys Figur Jeff Pickles moderierte Sendung aus der Serie Kidding erinnert. Inzwischen leitet Erin ein Provinzmuseum für Raumfahrt und hadert damit, ihre beruflichen Ambitionen dem beschaulichen Familienleben in der Vorstadt geopfert zu haben. Wie fein und nuanciert Seehorn auch diese Rolle meistert, ist fabelhaft.

„Above and Beyond“ heißt die Kindersendung, die Cameron geschaffen hat. Hoch und über etwas hinaus soll es nach dem Rauswurf beim Lokalsender auch für Cameron gehen, wenn er die in seinem Garten abgestürzte Raumkapsel zum Anlass nimmt, in seiner Garage seine eigene Rakete zu bauen; erst allein, später mit Unterstützung des dementen Wissenschaftlers Mac (Roger Hendricks Simon) und schließlich gemeinsam mit Erin. Wie im eingangs erwähnten anderen Film, in dem ein unbekanntes Flugobjekt in einem Vorort bruchlandet, Marc Turtletaubs A Great Place to Call Home, geht es auch in Linoleum um ein Leben und Altern in Würde im Angesicht eigener Ambitionen und vertaner Chancen. Warum schlägt man im Leben den einen Weg ein und nicht einen anderen? Cameron, Erin, Nora und Marc haben darauf eine simple Antwort: „It’s not that simple“, „Es ist einfach nicht so einfach“.

Linoleum ist Colin Wests dritter abendfüllender Spielfilm. Die Idee dafür kam ihm, als er vor einigen Jahren seinen Großvater besuchte und dieser ihn nicht mehr erkannte, sondern mit dem Sohn, also Wests Vater, verwechselte. Mit bodenständigem Humor und kreativen inszenatorischen Mitteln, die mitunter an das Kino eines Spike Jonze und Michel Gondry erinnern, zaubert West diese im wahrsten Sinne zeitlose Geschichte, in der alles mit allem verbunden ist, nun auf die Leinwand. „Perhaps the universe in our heads is more real than reality itself“, sagt der von Tony Shalhoub in einer klitzekleinen Nebenrolle gespielte Arzt Dr. Alvin an einer Stelle zu Cameron. Hierin, also darin, dass sich die Welt in unserer Vorstellungskraft mitunter echter anfühlen könne als die reale Welt selbst, liegt der Schlüsse zu diesem Film. Ganz am Ende ist alles ganz einfach.

Linoleum - Das All und all das (2022)

Der leidenschaftliche, aber erfolglose Wissenschaftler Cameron (Jim Gaffigan) stürzt in eine böse Midlife-Crisis. Ein neuer Nachbar (ebenfalls Jim Gaffigan), der wie die bessere Version von ihm selbst erscheint, bringt sein ruhiges Vorstadtleben durcheinander. Seine Karriere implodiert, seine Ehe steht vor dem Scheitern. Als eines Morgens die Überreste einer abgestürzten Raumkapsel in Camerons Garten liegen, macht er das, was er am besten kann: Er baut in der Garage eine Mondrakete und lässt seinen Kindheitstraum von der Astronautenkarriere wieder aufleben. Das ist der Beginn einer skurrilen und emotionalen Reise.

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