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Mit „Irrlicht“ liefert João Pedro Rodrigues ein weiteres kleines Filmwunder voller Musik, Tanz, nackter Haut und Widerstand. Weiter so!

Irrlicht (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Allegorie der von der Begierde beherrschten Zeit

Der 1966 in Lissabon geborene Filmemacher João Pedro Rodrigues hat im Laufe seiner Karriere schon ein paar echte Glanzstücke des portugiesischen Kinos geschaffen – etwa das düstere Märchen „O Fantasma“ (2000) oder das experimentelle Werk „Der Ornithologe“ (2016) über die Verwandlung eines jungen Atheisten in den Heiligen Antonius von Padua. Stets folgen seine Filme einer völlig entfesselten Traumlogik und sind dabei im besten Sinne irritierend.

Dies setzt sich nun eindrücklich mit Rodrigues‘ neuer Arbeit Irrlicht fort, die abermals eine dezidiert queere Ästhetik bietet und Comedy- auf Musical- und Fantasy-Elemente treffen lässt. Der Plot beginnt im Jahre 2069. Zu hören sind die Geräusche eines vorbeifliegenden Raumschiffs; wir befinden uns mit dem ungekrönten König Alfredo (Joel Branco) auf dem Sterbebett, ehe dieser anfängt, an seine seltsam beengende Jugend in royalen Kreisen und an seine aufregende Zeit bei der Feuerwehr zurückzudenken.

Das mag nach ausufernder Epik klingen – doch rasch zeigt sich hier der besondere Humor des Regisseurs: Die drei Lebensabschnitte seines Protagonisten schildert Rodrigues in sportlichen 67 Minuten. Als Inspiration diente ihm unter anderem ein Gemälde von Tizian: Allegorie der von der Klugheit beherrschten Zeit (ca. 1565-1570), in dem Jugend, Erwachsensein und hohes Alter gemeinsam auf einen Blick in ihrem Wesen erfasst werden. Ähnlich effizient geht auch Irrlicht vor. Rodrigues wirft lustvoll herumirrende Schlaglichter auf ein bewegtes Leben und konzentriert sich auf den Mittelteil, der vom sexuellen Erwachen, vom Spaß am Ausprobieren und von Grenzerkundungen geprägt ist.

Der adoleszente Alfredo (Mauro Costa) studiert Kunstgeschichte, zitiert voller Eifer aus der berühmten Rede der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel – und fasst den Entschluss, als Azubi zur Feuerwehr zu gehen. Dort erwartet ihn nicht nur eine ziemlich strenge Kommandantin (Cláudia Jardim), sondern auch der clevere und gut aussehende Ausbilder Afonso (André Cabral), der wiederum durch sein Studium ein Experte für Soziologie ist. Schnell kommen die beiden sich näher – was natürlich nicht ohne Melodramatik ablaufen darf.

Die Liebe zwischen einem Weißen und einem Schwarzen (von denen ersterer zudem ein Prinz ist!) sowie der Kampf für Umweltschutz – das sind lediglich zwei der großen Punkte, die Irrlicht streift. Der Film geht diesen komplexen Themen in seiner kurzen Laufzeit gewiss nicht in aller Tiefe auf den Grund, lässt aber eindeutig das Bewusstsein für deren Tragweite erkennen. In erster Linie ist das Werk ein Fest der Leidenschaft und der Hingabe und nicht zuletzt auch der Rebellion gegen das Bestehende und das vermeintlich Unveränderliche.

Die originell choreografierten Tanzeinlagen, die ebenso an die Classical-Hollywood-Phase wie an moderne Musikvideos denken lassen und sich von Klassik über Kinderlieder bis hin zu Pop alles Mögliche zunutze machen, drücken den freigeistigen Umgang von Rodrigues mit Körperbildern aus. Irrlicht ist hochgradig erotisch, lässt in seinen besten Momenten jedoch ein „demokratisches Ballett“ (wie der Regisseur es selbst treffend beschreibt) die Tanzfläche erobern, in dem die körperliche Vielfalt und nicht nur das gängige Schönheitsideal empowernd gefeiert wird. In der ausgefeilten Kameraführung von Rui Poças (Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld) werden die Schauplätze, darunter der familiäre Palast, der königliche Kiefernwald und die örtliche Feuerwache, in herrlichen Aufnahmen eingefangen. Irrlicht entführt so in seinen ganz eigenen Kosmos, aus dem wir gar nicht wieder herausfinden möchten.

Irrlicht (2022)

Wir schreiben das Jahr 2069. Auf dem Sterbebett erinnert sich der ehrwürdige Regent Alfredo, König ohne Krone, an seine ausschweifende Jugend als Feuerwehr-Azubi. Die Begegnung mit seinem Ausbilder Afonso entzündete damals eine leidenschaftliche Liebe – und den gemeinsamen Willen, den Status quo zu verändern.

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