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Auf Sizilien herrscht Landflucht. Es gibt kaum Perspektiven für junge Leute. Der Film von Michele Pennetta erzählt von einem Teenager, der seinem Vater beim Einsammeln von Schrott helfen muss. Der zweite Protagonist ist ein afrikanischer Migrant, der hofft, in diesem Teil Europas Fuß zu fassen.

Il mio corpo (2020)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein sizilianisches Gefühl von Einsamkeit

Der Teenager Oscar und sein Bruder stapfen durch eine wilde Müllhalde unter einem sizilianischen Viadukt. Hier haben Leute ihren Schrott abgeworfen. Oben auf der Brücke steht der Vater und treibt die Söhne an. Sie sollen metallische Objekte an einem Gurt befestigen, an dem er sie hinaufzieht. Mit dem vollbeladenen Auto fahren sie abends alle heim. Aber der Vater, der den Schrott verkauft, hat für die Söhne, besonders für Oscar, nur Tadel übrig. Den bedrückten Jungen, der schweigend die ständige Herabsetzung erträgt, findet er zu langsam, zu dumm.

Nicht weit von dieser Szenerie entfernt putzt der nigerianische Migrant Stanley den Fußboden in einer Kirche. Er hat eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und will die Arbeiten annehmen, die man ihm anbietet. Aber Stanleys Mitbewohner, dessen Antrag auf Bleiberecht noch unbeantwortet ist, hält davon nichts: Der Priester bleibe Stanley Geld schuldig. An seiner Stelle wäre er schon längst aus Sizilien weg. Stanley aber fährt mit dem Priester aufs Land, wo er bei der Weinlese helfen und eine Schafherde hüten soll. Untergebracht wird er in einem Wohnwagen oder in einem Gebäude, das als Ruine in der Landschaft an die Zeiten des Bergbaus erinnert. Hier draußen muss sich Stanley wie ausgesetzt vorkommen, er konnte höchstens mit dem Hirten sprechen, der ihn eingewiesen hat und dann gegangen ist. Abends steht Stanley auf einer Anhöhe und blickt in die menschenleere, karge Hügellandschaft, als wolle er sich im Kontakt mit diesem Draußen — der Luft, den spärlichen Geräuschen, der Wärme — seiner Existenz versichern.

Der italienische Regisseur Michele Pennetta hat einen stimmungsvollen Dokumentarfilm gedreht, der Oscar und Stanley für eine Weile folgt und ihre Geschichten parallel erzählt. Die beiden spielen sich selbst, indem sie offenbar einem Skript mit zumindest teilweise vorab festgelegten Szenen folgen. Das Thema, das die beiden unterschiedlichen Protagonisten vereint, ist ihre Verlassenheit, ihr Gestrandetsein im Zentrum einer Insel, die ihnen keine Perspektive bietet. Wer hier noch wohnt, scheint das Fortgehen verpasst zu haben oder ist nach überstandener Flüchtlingsodyssee voller Hoffnung, in Europa Fuß zu fassen. Für Stanley kann Europa hier noch so trostlos aussehen oder sich ihm verschließen, er meint dennoch, angekommen zu sein.

Der hoffnungsvolle Blick des Afrikaners, seine Neugier und sein Tatendrang erinnern an Luca Lucchesis ebenfalls auf Sizilien gedrehten Dokumentarfilm A Black Jesus. Wie dort auch mutet das Ankommen in der Gesellschaft aus Sicht der jungen Migranten wie ein ungelöstes Rätsel an, wie ein Weg, der sich ihnen auf diffuse, vielfältige Weise immer wieder entzieht. Sie sind in der Schwebe – wegen der Aufenthaltsgenehmigung, wegen der Arbeitssuche, der fehlenden sozialen Kontakte. Sie haben nur sich, die Gemeinschaft der Geflüchteten, die sich zum Tanzabend trifft. Stanley geht einmal mit seinem Mitbewohner zum Baden ins Meer. Die Kamera filmt auf der Höhe der Wasseroberfläche. Das leichte Schwappen der Wellen, die die Männer auf Brusthöhe umspülen, mutet ungemein sinnlich und authentisch an.

Im Erspüren des eigenen Körpers entdecken Stanley und Oscar, jeder für sich allein, dass sie nur sich selbst haben, aber zugleich auch, wie lebendig und kraftvoll sich ihr Dasein anfühlt. Einmal filmt die Kamera Oscar und seinen Bruder beim Radfahren. Wie befreit preschen sie über die menschenleere Straße, der jüngere Oscar versucht, dem schnelleren Bruder zu folgen und seine kleinen Kunststückchen auf dem Rad nachzumachen. Zuhause hat sie der Vater wieder abgekanzelt. Die Enge und Armut ihrer Behausung, mit dem nicht nur verbal aggressiven Vater, seiner lieblosen neuen Frau und jüngeren Kindern schlagen ihnen aufs Gemüt. Oscar sagt im ganzen Film nur selten ein paar Worte, er kennt niemanden, der ihn schätzt, ihm zuhören mag. Auf dieser Fahrt mit dem Rad wirken die beiden Jugendlichen wie Rebellen, wie Suchende auf dem Absprung in eine Zukunft, die es doch da draußen, allen Abweisungen zum Trotz, geben muss.

Irgendwann werden die Wege von Oscar und Stanley zusammengeführt, zu einer kurzen Begegnung in dunkler Nacht. Was die beiden geredet haben, erfährt man nicht. Aber es ist zu sehen, dass sie sich im Gegenüber wiedererkannt haben. Dabei haben sie auch erfahren, dass sie nicht allein sind. Sie teilen das Gefühl, sich in der Weite der entvölkerten Landstriche mit den kargen, verdorrten Hügeln verirrt zu haben. Pennettas Protagonisten lernen die existenzielle Verlorenheit kennen und finden sich selbst. Die krude Intensität ihrer Erfahrungen bewegt und hallt noch lange nach

Il mio corpo (2020)

Unter der sengenden Sonne Siziliens sammelt der Teenager Oscar mit seinem herrischen Vater und seinem Bruder Altmetall auf den Müllhalden, um es für ein wenig Geld weiterzuverkaufen. Ein paar Kilometer weiter putzt der aus Nigeria geflüchtete Stanley die Kirche. Er darf für sechs Monate bleiben und genießt den Schutz des Priesters, für den er sich auch um den Garten und die Schafe kümmert. Oscar und Stanley – zwei Überlebende, die scheinbar alles trennt, aber doch das Gefühl teilen, als In-die-Welt-Geworfene von den Entscheidungen anderer abhängig zu sein. Werden sie sich erkennen, wenn sie aufeinandertreffen, auch wenn es nur eine flüchtige Begegnung ist?

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