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Luca Lucchesi besucht ein sizilianisches Dorf. Hier wird auf der einen Seite die Statue eines schwarzen Jesus verehrt, auf der anderen stossen die schwarzen Asylsuchenden, die dort untergekommen sind, auf Ablehnung.

A Black Jesus (2020)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Die Verehrung eines schwarzen Jesus

Ein sizilianisches Dorf bereitet sich auf eine ihrer wichtigsten religiösen Feierlichkeiten des Jahres vor. Für die Einwohner von Siculiana ist das überlebensgroße Kruzifix aus Holz, das sie am 3. Mai jeden Jahres aus der Kirche holen und mit einer pompösen Prozession durch die Straßen tragen, Heiligtum und gleichzeitig Objekt der Begierde. Wie eine aufgeregte junge Braut wirkt eine ältere Frau, die ihr Haar zu diesem Anlass mit neuer Farbe auffrischen lässt. „Ich bin nun mal in unseren Christus verliebt“, gibt sie bereitwillig zu.

Etwas ganz Besonderes hat dieser Jesus tatsächlich: Er ist schwarz. Während Madonnenstatuen mit schwarzer Hautfarbe in Europa zu einem bekannten Phänomen gehören, sind schwarze Christusfiguren selten. Was es genau damit auf sich hat, ob es sich dabei um eine Verfärbung durch Russ handelt oder von Anfang an ein dunkles Holz für die Herstellung verwendet wurde, klärt der Dokumentarfilm von Luca Lucchesi nicht auf. Die Meinung einer Gläubigen, die behauptet, der Jesus sei schwarz geworden, weil er alle Sünden der Menschen in sich aufnehmen musste, bleibt die einzige Aussage dazu. An sich kümmert sich A Black Jesus nur sehr wenig um Kontextualisierung, geht nicht didaktisch-kommentierend vor, sondern vielmehr impressionistisch und bemüht sich, in erster Linie Emotionen zu wecken.

Die Verehrung für den schwarzen Jesus aus Holz steht in einem, je nach Sichtweise, ironischen Kontrast zur mehr oder weniger offenen Ablehnung, die die Einheimischen den schwarzen Afrikanern entgegenbringen, die als Asylsuchende in ihr Dorf gekommen sind. An den einen richten sie ihre Gebete, von ihm erwarten sie Hilfe und Schutz. Vor den anderen fürchten sie sich. Auf diesen vermeintlichen Widerspruch zielt das Langfilmdebüt des italienischen Regisseurs ab. Mit der bedingungslosen Nächstenliebe, wie sie aus der Lehre Jesu hervorgeht, will es nicht ganz gelingen, so sein Eindruck.

Als Zuschauer ertappt man sich schließlich selbst, wie man konstant auf einen konfrontativen Höhepunkt wartet. Doch abgesehen von einigen hilflosen, aber dennoch rassistisch-abschätzigen Bemerkungen, wirken alle Beteiligten zurückhaltend-reserviert. Keiner lässt sich mitreißen. Einzig bei einem Gespräch unter Männern beim Friseur, als der Italienischlehrer der Flüchtlinge für mehr Toleranz gegenüber seinen Schützlingen plädiert, meldet sich ein anderer vorsichtig widersprechend zu Wort.

Die Stimmung, die A Black Jesus erzeugt, erinnert an Filme wie Eldorado von Markus Imhoof oder Fuocoammare von Gianfranco Rosi. Auch hier sucht der Autor eigentlich nach den Formen eines gesellschaftlichen Miteinanders, aber findet weitgehend zwei separate Sphären vor. Zu einer richtigen Interaktion der beiden Gruppen kommt es im Film nur in zwei Situationen, die insgesamt etwas erzwungen wirken. Einmal besuchen die jungen Männer aus dem Auffanglager eine Schulklasse. Alle sitzen sichtlich angespannt in einem Kreis und haben sich nicht wirklich etwas zu sagen. Und das zweite Mal erlaubt man, einzelnen Afrikanern beim Tragen des schweren Kruzifix‘ zu helfen.

Damit fängt Lucchesi den emotional intensivsten Moment seiner Beobachtungen ein. Untermalt mit Klageliedern und traditioneller italienischer Blasmusik ist die Anstrengung in den schweißgebadeten Gesichtern erkennbar. Die Parallele zwischen dem Leidensweg Jesu und dem der geflüchteten Afrikaner stellt A Black Jesus nur zu offensichtlich her. Und einer der Schwarzen sagt selbst: „Bin ich das am Kreuz?“

Ob nun die Einwohner von Siculiana, wo Lucchesi selbst herstammt, befangen reagierten oder der Autor strikt vermeiden wollte, jemanden vorzuführen, sei dahingestellt. Seine größte Stärke schöpft A Black Jesus auf jeden Fall aus der suggestiven Bildfindung und dichten Montage. Die Kamera ist den Protagonisten abwechselnd sehr nahe, wenn sie die Afrikaner beim Italienischunterricht begleitet oder sich in die Menge bei der Prozession mischt, und sucht gleichzeitig Distanz.

Der Akzent liegt schließlich auf der Herstellung eines Bilderbogens, um das Individuum geht es nicht. Genauere Hintergründe werden keine erörtert, persönliche Charaktereigenschaften nicht herausgestellt. Die Figuren sind austauschbar und damit allgemeingültig. So soll vermutlich auch die Aussage des Dokumentarfilms verstanden werden: Reaktionen von Unsicherheit, Ablehnung und Misstrauen gegen Fremden sind unvermeidbar und allgegenwärtig.

Als Produzenten von A Black Jesus hat Lucchesi Wim Wenders verpflichten können. Dies wundert angesichts der Tatsache, dass der Regisseur mit Wims Nichte Hella Wenders, die an der Idee für A Black Jesus beteiligt war, verheiratet ist, nicht sonderlich. Doch passt das Projekt an sich zu Wenders‘ seit einigen Jahren bekundetem Interesse an religiösen Themen. Man denke da insbesondere an seinen eigenen Dokumentarfilm über Papst Franziskus. Wenders wird vermutlich auch die Tendenz zum Pathetischen am Film gefallen haben, die sich unter anderem in den wiederholt spektakulären Kamerafahrten und den lakonisch-symbolgeladenen Aufnahmen spiegelt.

A Black Jesus (2020)

Im sizilianischen Städtchen Siculiana legt man sein Schicksal in die Hände eines schwarzen Christus, traut den afrikanischen Flüchtlingen aber nicht so richtig über den Weg.

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