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In „Halloween Ends“ nimmt uns David Gordon Green wieder mit nach Haddonfield, um uns zu zeigen, wie Laurie Strode und deren Umfeld ihr Leben fortzuführen versuchen.

Halloween Ends (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Changing Shape

Der Anfang wirkt vertraut. Es ist der Tag vor Allerheiligen, der letzte Oktoberabend – und vielleicht auch wieder einmal „Die Nacht des Grauens“? Wir sind in der fiktiven US-Kleinstadt Haddonfield, in der Michael Myers einst als Kind seine Schwester erstach, ehe er 15 Jahre später aus der Psychiatrie floh, um erneut zu morden, und schließlich vier Dekaden später aus dem Gefängnis ausbrach, um den suburbanen (Tat-)Ort abermals heimzusuchen und ein weiteres Blutbad anzurichten. 12 Monate sind seither vergangen, es ist 2019, Myers scheint verschwunden. Der Babysitter Corey (Rohan Campbell) soll in einem riesigen Haus auf einen kleinen Jungen aufpassen, derweil die Eltern auf eine Kostümparty gehen. Was soll schon passieren?

So viel sei verraten: Es passiert so einiges, allerdings überraschenderweise gar nicht das, was wir in einem Beitrag zur Halloween-Filmreihe erwarten würden. Vielmehr ist es eine düstere, bittere Origin-Story. Dann kommt der Vorspann – und mit ihm der einzigartige Score von John Carpenter, dem Schöpfer des ersten Teils aus dem Jahre 1978. Während die Credits eingeblendet werden, schält sich ein Kürbis aus dem nächsten heraus. Ein hübscher Effekt, der einerseits die Genese des Slasher-Franchise veranschaulicht (auf jeden Film folgt ein weiteres Sequel, Remake oder Reboot) und andererseits das Thema von Halloween Ends vorwegnimmt: Monster gebären Monster gebären Monster – und so weiter.

Wieder sind drei Jahre ins Land gezogen. Und noch immer ist Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) die große Überlebende, die ewige Final Woman, die ihre Erfahrungen zu Papier bringt. Mit ihrer Enkelin Allyson (Andi Matichak) hat sie sich ein Zuhause geschaffen. Und manchmal flackert die Hoffnung auf, dass endlich alles normal werden könnte. Dass ein verbrannter Kuchen im Ofen der schlimmste Verlust eines Tages ist. Dass ein unbeholfener Flirt mit Officer Hawkins (Will Patton) im Supermarkt zu etwas Schönem führen könnte. Dass Allyson, die ihre Eltern, ihren Freund und ihre Clique durch Myers verloren hat, einfach mal wieder Spaß hat – womöglich ja mit Corey, der seit jener Halloweennacht 2019 als „local creep“ gilt.

Das Bemerkenswerteste am ersten Drittel von Halloween Ends ist, dass dieser Film seinen vermeintlichen „Star“ Michael Myers überhaupt nicht braucht, um davon zu erzählen, was Angst und Gewalt mit Menschen machen können. In Carpenters Original war der Schauplatz Haddonfield eine verschlafene Gemeinde in Illinois, in der sich das Böse leicht verdrängen ließ. Es gab das verlassene Myers-Haus – und drumherum ein sauber gefegtes (Schein-)Idyll im warmen Herbstlicht. Der Regisseur David Gordon Green und seine drei Co-Autoren zeichnen beinahe ein halbes Jahrhundert später ein anderes Bild. Alles mutet seltsam schäbig an. Die Luxusvilla, in der wir uns zu Beginn bewegen, ist 2022 bereits zur Ruine voller Staub, Spinnweben und schmerzhafter Erinnerungen geworden. Unter den Brücken der Stadt hausen die Obdachlosen; in den Bars lassen sich die Trauernden und Traumatisierten von Alkohol und schrammeliger Musik betäuben. Wir begleiten die Figuren auf den Schrottplatz, an die Tanke, ins örtliche Krankenhaus, an den Esstisch zum Familienstreit – und an keinem dieser Orte ist es auch nur ansatzweise angenehm.

Als Laurie in einem der wenigen unbekümmerten Momente mit einem strahlenden Lächeln über den Parkplatz läuft, wird sie schon im nächsten Augenblick wieder an den Schatten erinnert, der ihr Dasein seit ihrer Jugend verdunkelt. Und auch Corey kann seinen Dämonen nicht entfliehen. Das wahre Grauen in Halloween Ends sind toxische Menschen, die einander das Leben zur Hölle machen. Zwischen Laurie und Corey scheint sich eine Solidarität unter Ausgestoßenen zu entwickeln – und zwischen Corey und Allyson eine Liebe, die sich rasch als Amour fou romantisch verklären ließe. Zu den Synthiepop-Beats der Band Boy Harsher werden die beiden jungen Verwundeten zu einem Paar, das alles hinter sich lassen will. Aber der Hass hat Corey schon zu sehr eingenommen – und das ist natürlich die perfekte Nahrung für Myers.

Ganz ohne klischeehaftes Nebenpersonal und übertriebene Kills kommt Halloween Ends nicht aus. Dennoch ist es beeindruckend, wie Green und sein kreatives Team (nicht zuletzt das Power-Trio Curtis, Matichak und Campbell) eines der formelhaftesten Genres nutzen, um ein ziemlich komplexes Geflecht aus innerlich zerrissenen Hauptcharakteren und schwierigen Beziehungen zu schaffen. Das Werk sucht sich neue Pfade, modernere Perspektiven – und vergisst doch nicht die Traditionen des Horrorkinos, aus denen es hervorgeht. So lässt Corey durch seinen finsteren Werdegang an den Highschool-Schüler Arnie aus Carpenters Stephen-King-Adaption Christine (1983) oder an den labilen Protagonisten Tommy aus den Teilen 4 bis 6 der Freitag, der 13.-Reihe denken: junge Männer, die das Böse zu bekämpfen versuchen und dabei selbst zu einem Bestandteil davon werden. In seinem radikalen Finale ist der Film letztlich ein Plädoyer gegen das Verdrängen, gegen die Mystifizierung – und für eine Rückeroberung des eigenen Glücks.

Halloween Ends (2022)

In der Rolle, die sie zur Ikone des Genres machte, muss sich Jamie Lee Curtis in Halloween ein letztes Mal dem blutrünstigen Psychopathen Michael Myers stellen.

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