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Die frühen 1970er Jahre sind im Bewusstsein vieler Menschen mit Hippies und Linksradikalismus verbunden. Kaum jemand denkt an die Jugendlichen, die überall in der Bundesrepublik auf die Straße gingen, um die Einrichtung selbstverwalteter Jugendzentren zu fordern. Ihr Erbe ist bis heute lebendig.

Freie Räume - Eine Geschichte der Jugendzentrumsbewegung (2019)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Links, laut und selbstverwaltet

Mit der 68er Bewegung und der Flower-Power-Ära hatte in der Bundesrepublik eine gesellschaftliche Umwälzung eingesetzt, die von der jungen Generation ausging. Anfang der 1970er Jahre demonstrierten in vielen Orten Westdeutschlands sogar Jugendliche, nämlich Schüler*innen und Auszubildende. Ihre Forderungen waren relativ unspektakulär, damals aber nicht nur für die Adressaten in den Stadtverwaltungen unerhört. Die langhaarigen Jugendlichen wollten Räume, um sich zu treffen und ungestört Musik zu hören, ohne Geld für Diskos ausgeben zu müssen oder unter der Kontrolle von Erwachsenen zu stehen.

Der revolutionärste Gedanke an der Forderung nach lokalen Jugendzentren war die Selbstverwaltung. Dass die Jugend ein Gebäude und einen Zuschuss aus dem Haushalt verlangte, ohne sich deshalb von der Kommune etwas vorschreiben lassen zu wollen, stieß nirgends auf sofortiges Verständnis. Wie der spannende Dokumentarfilm von Tobias Frindt nicht nur, aber hauptsächlich am Beispiel Mannheims zeigt, musste von den Initiativgruppen selbst in langer Öffentlichkeitsarbeit der Boden für die Jugendzentren bereitet werden.

Im Film kommen mehrere Jugendzentrumsaktivisten der ersten Generation aus Mannheim zu Wort, wie Bernd Köhler, Barbara Straube, Ingo Hoppe. Sie erinnern sich an die Demos, die Straßenkonzerte, die Informationsblätter, die an Passanten verteilt wurden. Frindts Film präsentiert reichhaltiges Archivmaterial, das mit Filmausschnitten und Fotos das Zeitkolorit der 1970er im Handumdrehen herbeizaubern kann. Köhler erzählt, dass die Bewegung auch lernen musste, wie man sozialen Ungehorsam artikuliert. Kaum aber war ein Haus genehmigt, tauchten rasch ganz prosaische Probleme auf, wie sie auch jede WG kennt: Wer putzt nach der Versammlung oder Party?

Frindt schneidet mit seinen Gesprächspartner*innen sehr unterschiedliche Aspekte an, was dem Film eine lebendige Atmosphäre verleiht. Die Jugendzentren benötigten vielerorts Hilfe bei der Selbstverwaltung, aber es herrschte Uneinigkeit, wie sehr sich Sozialarbeiter einmischen sollten. Als unerwartetes Problemfeld sollte sich für behütete Mittelschichtskinder – viele Aktivisten und Besucher der ersten Stunde waren männliche Gymnasiasten — die Begegnung mit alkoholisierten Besuchern und Rockergruppen erweisen. Es war, wie die Interviewpartner betonen, von den linksorientierten Initiativen ausdrücklich gewollt, dass sich in den Zentren alle Schichten trafen. Zu den idealistischen Vorstellungen gehörte vor allem die Einbindung der Arbeiterjugend, um die Gesellschaft zu verändern: Die Jugendzentren sollten nicht nur Treffpunkt für angehende Arbeiter*innen sein, sondern sie auch dazu anregen, in den wirtschaftlichen Betrieben für Selbstorganisation zu kämpfen.

Die Wortbeiträge wirken besonnen, manchmal humorvoll, so gut wie nie agitatorisch. Viele der Befragten blicken mit der Gelassenheit der reifen Jahre auf ihre Aktivist*innenzeit zurück. Als Experte, der die Bewegung sachlich nüchtern von außen betrachtet und einordnet, dient dem Film David Templin, der Autor des Buchs Freizeit ohne Kontrollen – Die Jugendzentrumsbewegung in der Bundesrepublik der 1970er Jahre.

Wie jede Bewegung hat auch die Jugendzentrumsbewegung unterschiedliche Phasen erlebt. Auf die Gründungseuphorie folgte mit dem Bezug der Häuser nicht selten eine Ernüchterung. Die Selbstverwaltung war mühsam, es fehlte Geld und Zeit, die Lokalpolitik gab sich knauserig. Mancherorts hatte man auch Häuser besetzt, aber Städte rissen wiederum ihrerseits Gebäude ab, um die Bewegung zu stoppen.

Der Film beleuchtet die Entwicklung der Jugendzentrumsbewegung bis in die Gegenwart, wenngleich sein Schwerpunkt in den 1970er Jahren liegt. Pablo Charlemoine, Sänger der Punkband „Irie Révoltés“, erinnert an die Zeit, als Punks in Jugendzentren ein Refugium vor Neonazis fanden. In Leisnig, Mittelsachsen, gibt es seit 16 Jahren ein alternatives Jugendzentrum. Linke Jugendliche hatten einen Treffpunkt benötigt, an dem sie nicht mit Pöbeleien oder Gewalt rechnen mussten, wie ein Mitarbeiter erzählt. Aber auch andernorts auf dem flachen Land erwiesen sich Jugendzentren schon aus dem einfachen Grund als segensreich, weil sie es Jugendlichen erlaubten, vor Ort Musik zu machen und zu feiern.

Das Mannheimer Jugendzentrum gibt es immer noch, jedoch nicht mehr in der Stadtmitte, sondern an der Peripherie. Eine Filmszene zeigt, wie eine junge Frau dort einen Sprachkurs für afrikanische Migrant*innen hält. Beim Betrachten dieses informativen Films wird deutlich, wie sich die gesellschaftlichen Strömungen ändern. Von der Aufbruchstimmung der 1970er Jahre ist heute nicht mehr viel übrig und schon mit dem Begriff eines selbstverwalteten Jugendzentrums assoziieren vermutlich nicht wenige Menschen fast schon wieder so etwas wie Anarchie.

Aber gerade wenn jetzt im Zuge des Kaufhaussterbens über die künftige Architektur und Funktion der Innenstädte nachgedacht wird, könnten sich die Kommunen verstärkt der Aufgabe widmen, soziale und kulturelle Begegnungsräume zu schaffen. Der alte Wunsch nach kommerzfreien Treffpunkten scheint auch wieder aufzukeimen bei einer Jugendgeneration, der der Umweltgedanke und mit ihm Kritik an Konsumorientierung und wirtschaftlicher Wachstumsideologie wichtig sind.

Freie Räume - Eine Geschichte der Jugendzentrumsbewegung (2019)

In den frühen 70er Jahren versuchten tausende von Jugendlichen in Westdeutschland in ihren Städten und Gemeinden selbstverwaltete Jugendzentren und Jugendhäuser zu etablieren, um sich eigene Treffpunkte zur Freizeitgestaltung ohne Konsumzwang und ohne Kontrolle durch die Elterngeneration zu schaffen. „Freie Räume“ zeichnet die Geschichte dieser Bewegung nach.

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