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Schon mit ihrem ersten Roman „Angst vorm Fliegen“ 1973 schlagartig berühmt geworden, beschäftigt sich die Schriftstellerin Erica Jong bis heute mit der Selbstbefreiung der Frau aus gesellschaftlicher Benachteiligung.

Erica Jong - Breaking the Wall (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Poesie und feministische Wahrheit

Als Erica Jong 1973 ihren ersten Roman „Angst vorm Fliegen“ in den USA veröffentlichte, war sie 31. Die autobiografisch gefärbte Geschichte der fiktiven Heldin, die außer Flugangst auch Angst vor ihrer sexuellen Selbstbefreiung und einem unabhängigen Leben hat, traf genau den Nerv der Zeit. Millionen Frauen – drei Jahre später erschien der Roman auch in Deutschland — hatten ein Aha-Erlebnis, als würde ihnen die Romanheldin aus der Seele sprechen. Und wie sie die Dinge beim Namen nannte, über Geschlechtsteile und ihre Sehnsucht nach dem berühmten „zipless fuck“, übersetzt mit „Spontanfick“, sprach!  Auf einmal war die sexuelle Revolution und zugleich die Frauenemanzipation in der Mitte der Gesellschaft angekommen, mit einem lustvollen, witzigen Roman, der pures Lesevergnügen bereitete! Bis heute wurden davon weltweit 40 Millionen Exemplare verkauft – erst kürzlich erschien er auch in Ägypten und Südkorea. Knapp 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung hat der Schweizer Filmemacher Kaspar Kasics die Schriftstellerin besucht, um zu erfahren, wie sie heute lebt und wie sie über den Wandel der Zeit denkt.

Kasics montiert Aufnahmen aus der Gegenwart gegen Ausschnitte aus Jongs Talkshow-Auftritten im US-Fernsehen vergangener Jahrzehnte. So entsteht ein lebendiges dokumentarisches Erzählen, das lieber Bilder als rückblickende Worte sprechen lässt. In der Gegenwart – der Großteil der Aufnahmen entstand vor Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 – sieht man Erica Jong in ihrer geschmackvollen New Yorker Wohnung oder in ihrem Domizil in Connecticut. Oft sind die beiden Pudel an ihrer Seite, manchmal einige ihrer Enkel*innen oder es tritt ihr Ehemann Ken Burrows hinzu. Einmal gibt sie eine Party, dann wieder spricht sie in ihrem Arbeitszimmer über das Schreiben. 

In einem Ausschnitt aus einer TV-Sendung von 1975 erzählt Jong, wie ihr der frühe Ruhm zu viel wurde und sie aus New York nach Kalifornien zog, um wieder in Ruhe Gedichte schreiben zu können. Mit ihrer brav-adretten Wellenfrisur, der großen Brille und dem freundlichen Gesichtsausdruck scheint sie den damaligen Inbegriff der naiven Blondine zu verkörpern. Aber sobald sie spricht, offenbart sie feministische Unbestechlichkeit und Klarheit, mit der sie auch eine misogyne Bemerkung des Moderators kontert. Oft ist ihr kicherndes, entwaffnendes Lachen zu hören. 

Obwohl der Film Erica Jongs gegenwärtigen Alltag minutiös und in den verschiedensten Settings zu beobachten scheint, kommt vieles nicht oder nur sehr beiläufig zur Sprache. Anders als es einige radikale Feministinnen der 1970er im Kampf gegen das Patriarchat forderten, verzichteten weder Erica Jong noch ihre Romanheldin auf die Ehe mit einem Mann. Im Gespräch mit ihrer Schwester sagt Jong einmal, wie wichtig es ihr immer war, verheiratet zu sein – mittlerweile in vierter Ehe. Wie empfand Jong die Reaktionen der Frauenbewegung auf ihren Roman, und wie nahm der Kulturbetrieb die Schriftstellerin auf? Fühlt sie sich heute, nach rund 20 Romanen, gut in die New Yorker Kunstszene integriert? Ein Archivausschnitt zeigt, wie Henry Miller sie kurz nach Erscheinen von „Angst vorm Fliegen“ lobt, dann ist sie in der Gegenwart als Gastgeberin einer gut besuchten Stehparty in ihrer Wohnung zu sehen. Aber es fehlt auffallend an Stimmen bekannter Schriftsteller*innen und Verleger*innen, die Jongs Werdegang kommentieren und interpretieren könnten. Vielleicht hat der Regisseur gemeinsam mit seiner Protagonistin vereinbart, auf Talking Heads zu verzichten. So entsteht ein zwar interessantes, aber auch von Oberflächenglanz geprägtes filmisches Album, das sich sehr davon leiten lässt, wie sich die Porträtierte selbst sehen will. 

Erica Jong erscheint darin als Familienmensch und relativ losgelöst von den Zeitläuften. Dieser Eindruck wird durchbrochen, wenn sie beispielsweise im Gespräch mit jungen Studentinnen gezeigt wird, die ein von ihr gefördertes Schreibzentrum besuchen. Oder wenn irgendwo draußen eine Klimademonstration stattfindet, Greta Thunbergs Stimme zu hören ist – und Erica Jong sagt, wie wichtig sie den Kampf gegen die Erderwärmung finde. Die Großmütter müssten an die Macht, um den nötigen gesellschaftlichen Wandel zu vollziehen, findet sie. Aber diese Bezüge zur Gegenwart bleiben sporadisch. Feministin ist sie noch immer: Jong stellt fest, die Gleichberechtigung der Geschlechter sei nie erreicht worden. Frauen müssten sich, sagt sie, selbst befreien, indem sie die Angst vor der Wahrheit über ihr Leben überwinden. Das klingt sehr abstrakt, kann aber auch als treffende Bemerkung zur Bedeutung der MeToo-Bewegung verstanden werden. Leider versäumt der Film, dieses Thema explizit ins Gespräch mit Jong zu bringen.

Auch zu einem vertiefenden Gespräch über Lyrik kommt es nicht, obwohl Jong immer wieder ihre Liebe zur Poesie erwähnt. Wovon die Künstlerin am meisten schwärmt, wird leider nicht vermittelt. In seinem Regiestatement bezeichnet Kasics die gespenstischen Aufnahmen der leeren Straßen von New York zu Anfang der Corona-Pandemie als Symbol für die Isolation, in die sich Jong immer wieder freiwillig begibt, um zu schreiben. Sie selbst sagt im Film, dass ihr dieser Rückzug oft nicht leicht falle, weil sie auch gerne unter Menschen sei. Ihre humorvolle Art und ihr kritischer Blick auf männliches Dominanzstreben und die noch nicht überwundene Benachteiligung von Frauen prägen sich in der Betrachtung des Films ein. Wegen der vielen interessanten Fragen, die Erica Jong nicht gestellt werden, bleibt das Porträt aber auch lückenhaft.

Erica Jong - Breaking the Wall (2022)

Mit dem weltweiten Erfolg ihres Buches (40 Millionen verkaufte Exemplare) beflügelte die New Yorkerin Erica Jong die sexuelle Befreiung der Frau. Sie wagte den Aufbruch zu sich selbst und forderte Begegnungen auf Augenhöhe — politisch, privat, und auch im Sex. Sie wollte die Welt verändern und will es noch immer. Mit ihrer eigenen Geschichte, mit ihrem Humor und mit dem Vertrauen in die Kraft der Worte. (Quelle: Rise and Shine Cinema)

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