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Lara Milena Brose porträtiert afghanische Geflüchtete in Bosnien, und die Menschen, die ihnen helfen. Ein empathisches Doppelporträt, das allerdings mit einer künstlichen dokumentarischen Inszenierung arbeitet.

Echoes from Borderland (2024)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

An der Grenze

Dies ist keinesfalls ein Cinema-Verité-Dokumentarfilm. Lara Milena Brose streift mit der Kamera durch das Grenzland von Bosnien, nahe Kroatien, nahe der EU-Außengrenze, und sie fängt die Stimmung, die Gedanken, die Probleme, die Hoffnungen und Frustrationen der Geflüchteten ein, die sich dort sammeln. Was sie erzählt, ist echt und nicht erfunden – aber es ist spür- und hörbar gestaltet. „Echoes from Borderland“ ist kein reines Einfangen der Wirklichkeit, sondern ein fast schon essayistischer Einblick in die Lage.

Brose folgt Nahid, einer Teenagerin, aus Afghanistan geflohen nach der handstreichartigen Machtübernahme der Taliban, nach dem riesengroßen Versagen des Westens. Jetzt hängt sie in einem Zeltlager in Velika Kladusa, einem bosnischen Kaff. Immer wieder versuchen sie und ihre Familie den (illegalen) Übertritt nach Kroatien, in die EU. Immer wieder werden sie von der kroatischen Polizei zurückgedrängt, teilweise unter Anwendung bösester Gewalt, meist werden alle Gegenstände und alles Geld weggenommen. Zumal die Schleuser schon viel kosten. „Spiel“ nennen die Vertriebenen diese Versuche, in die EU zu gelangen, das ist ein Euphemismus, erinnert an Fangen und Verstecken. Ist aber auch sozial wichtig: Es „Spiel“ zu nennen, verhindert Konkurrenz und Wettbewerb unter den Migranten; es hängt halt alles vom Glück ab, Neid und Ellbogen sind fehl am Platz.

Nahid ist die Führerin durch diese Welt derer, die festsitzen. Über 5.000 Kilometer von Afghanistan, ein paar hundert Meter von der EU entfernt. Wir folgen ihr, uns sie erklärt uns die Situation – nicht direkt, sondern über Gespräche und Sprachnachrichten. Dabei wird die Künstlichkeit der dokumentarischen Inszenierung deutlich: Dialoge finden nicht untereinander, sondern spürbar für die Kamera statt. Die Sprachnachrichten in die alte Heimat und aus der alten Heimat haben den Klang rezitierter Gedankenstrukturen. Nahid erweist sich als klug, aufmerksam, poetisch. Sie weiß ihre Gedanken und Gefühle rhetorisch perfekt auszudrücken. Nur eben nicht so, wie man tatsächlich miteinander redet. Zumal die Antworten von Arezu aus Afghanistan ebenso eloquent rüberkommen – und im Abspann keine Arezu vermerkt ist: Offenbar wurden ihre Botschaften nachgesprochen.

Dies ist kein Minuspunkt für den Film: Wiewohl gestaltet, wurden alle Aussagen, alle Begegnungen und Geschehnisse sicherlich recherchiert. Sie finden nun verdichtet vor der (und für die) Kamera statt. Und immer wieder findet Brose starke Bilder: Wie Nahid über den örtlichen Friedhof läuft, auf Gräbern die Namen junger Männer sieht, die in den 90ern im Bürgerkrieg gestorben sind – so weit weg von Afghanistan ist Bosnien nicht.

Zumal das Land muslimisch ist; und Brose blickt auf die andere Seite zu einer alten Witwe und liebevollen Großmutter: Ferida. Sie hilft, ist fast eine Art Freundin für Nahid, und sie hat Kontakt zu Feuerwehrmännern, Kriegsveteranen, die sich auskennen mit den Minenfeldern, seit Jahrzehnten an der Grenze, in die immer wieder Geflüchtete hineingeraten. Es bleibt unklar, ob dies Flüchtlingshelfer sind, Schleuser, oder ob sie nur sympathisieren – das ist ja auch gut so, schon zum Schutz der Helfer. Ähnlich ist es mit Elvir, der am Ort einen Imbiss betreibt und ebenfalls Sympathien hat für die Lage der Geflüchteten, der Nahid als Ratgeber zur Seite steht. Und der, obwohl weit jünger als Ferida, wie sie die schreckliche Bürgerkriegsvergangenheit verinnerlicht hat. Aus dem Schock, der Trauer, dem kaum bewältigten Trauma der 90er wie auch der real immer wieder weiter eskalierenden Balkansituation ergeben sich die kleinen Momente der Verbrüderung, exemplifiziert an Nahid.

Der Film behandelt natürlich den ganzen Mist, den die EU in ihrer Flüchtlingspolitik angerichtet hat, vom Afghanistan-Debakel bis zu den verkorksten Regelungen, mit denen die Last den EU-Außenstaaten aufgebürdet wird, das Wegducken der Unionsstaaten, die Verweigerung von Solidarität, aber auch ganz akut die nicht zu rechtfertigende Brutalität der Grenzpolizei, in diesem Fall von Kroatien.

Doch aus dem empathischen Doppelporträt zweier Seiten, der der Geflüchteten und der der Dorfbewohner, ergibt sich auch die Gefahr, in die der Film läuft. Nämlich dass er mitunter doch zu sehr auf das (Mit-)Gefühl setzt, das die Bilder, die Szenen erwecken sollen, dass er dadurch zu künstlich gerät, um noch ein vollständiges Bild ergeben zu können. Irgendwann holt in Elvirs Imbiss, unter all den bosnischen Kunden, einer eine Querflöte raus und spielt darauf, und die Melancholie drückt sich in den Mienen der Zuhörer aus, und das ist dann doch zu viel des Guten. Es kommt da ein Gedanke auf, den der mitfühlende Film sicherlich nicht provozieren möchte: Warum sollten die afghanischen Flüchtlinge überhaupt in die EU, wenn die Bosnier alle so nett sind?

Gesehen auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis 2024.

Echoes from Borderland (2024)

August 2021. Die Welt sieht dabei zu, wie die Taliban in Afghanistan wieder an die Macht kommen. Hunderttausende fliehen. Oder sind bereits geflüchtet. Viele von ihnen stranden in dem Nicht-EU-Staat Bosnien-Herzegowina. So wie Nahid, ein 15-jähriges Mädchen, das nach einer nervenaufreibenden Flucht aus Herat in einem der bosnischen Grenzdörfer gelandet ist. Die Sprachnachrichten aus der Heimat klingen zunehmend wie ein fernes Echo. Doch es bleibt keine Zeit für Nostalgie in diesem Alltag zwischen Illegalität und Pushbacks. Neben der Gewalt gibt es auch Menschen wie Ferida und den Coffeeshopbesitzer Elvir in der Stadt. Ferida lebt direkt an der Grenze. Und während sie beobachtet, wie die Menschen von ihren Versuchen, die Grenze zu überqueren, zurückkommen, kehrt schleichend die eigene Vergangenheit in ihr Bewusstsein zurück. Während Ferida sich in Erinnerungen verliert, entdeckt Nahid, dass der Kreislauf aus Krieg und Verlust sie mehr mit dem Ort verbindet als erwartet. (Quelle: Max Ophüls Preis 2024)

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Meinungen

Hannes · 04.02.2024

"Es kommt da ein Gedanke auf, den der mitfühlende Film sicherlich nicht provozieren möchte: Warum sollten die afghanischen Flüchtlinge überhaupt in die EU, wenn die Bosnier alle so nett sind?"

Wie zynisch kann man sein. Wer den Film schaut und sich am Ende diese Frage stellt hat absolut nix verstanden und sollte sich meiner Meinung nach schämen. Bisschen zuviele Kritiken geschrieben wahrscheinlich. Raus aus der Bubble und an die frische Luft.