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Laura Poitras hat einen einnehmenden Dokumentarfilm über die berühmte Fotografin Nan Goldin und ihr politisches Engagement gedreht, das sich durch das gesamte Leben dieser so wichtigen Künstlerin zieht. Ein vielschichtiger und ermutigender Film über Eigensinn und Haltung.

All the Beauty and the Bloodshed (2022)

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Alles ist politisch

Mit „All the Beauty and the Bloodshed“ lässt Laura Poitras, die zuletzt für „Citizenfour“ Regie führte, mit Ausschnitten aus dem Leben, Werk und Wirken der US-amerikanischen Fotografin und Aktivistin Nan Goldin ein eindrucksvolles filmisches Porträt entstehen. Goldin tauchte in den 1970ern in die queere Szene ein und lichtete Personen aus der Community ab, die Teil ihres eigenen Lebens waren. Momente, Szenen und Aspekte aus der New Yorker Subkultur erblickten durch die Fotografin ein neues Licht der Öffentlichkeit und werden in Poitras Film zu einer biografischen Erzählung verdichtet.

Als Aktivistin setzt sich die Künstlerin Nan Goldin heute zudem gegen den Pharmakonzern Purdue der Familie Sackler ein, die wie keine andere verantwortlich für die Opioid-Krise in den USA ist. In Poitras Film entfaltet sich die dichte Verwobenheit von Privatem, politischen Aspekten und der Kunst auf intellektuelle und emotionale Weise.

Diese drei Ebenen verbindet All the Beauty and the Bloodshed vor allem durch die begleitende Off-Stimme von Goldin miteinander: die private Biografie der Fotografin, ihren künstlerischen Werdegang und ihren aktivistischen Einsatz gegen die Sackler-Familie, die hinter der Verbreitung des Opioids OxyContin in den USA steht. Ersichtlich wird dabei, dass sich der Kampf gegen Unterdrückung durch die verschiedenen Aspekte von Goldins Leben wie ein roter Faden zieht. Unterdrückung von Sexualität und ihrer Stigmatisierungen, Unterdrückung durch häusliche Gewalt, sowie Unterdrückung von Patient*innen, die im Krankenhaus als Schmerzmittel das sofort abhängig machende OxyContin verabreicht bekommen und somit vielfach unvermeidlich in eine tödlich ausgehende Sucht gestürzt werden.

Goldin wurde selbst nach einem Unfall mit dem Opioid behandelt und fiel der Suchtkrankheit zum Opfer. Nach der Befreiung aus der Abhängigkeit entschied sie sich, dem Pharmakonzern und seinen menschenwidrigen Methoden den Kampf anzusagen. Mit ihrer Aktivist*innengruppe P.A.I.N. konnte sie erwirken, dass große Kunstsammlungen und Museen wie der Louvre oder das New Yorker Metropolitan Museum of Art sich von der finanziellen Unterstützung der Sackler-Familie lossagten. Ein Teil des Filmes besteht aus der Begleitung der dokumentierten aktivistischen Interventionen und der gerichtlichen Prozesse, die diese durchlaufen.

Eine Aktion von P.A.I.N. im Met eröffnet auch den Film. Wir lernen als Publikum zunächst die heutige Nan Goldin kennen, die nach und nach erzählerisch begleitet von Archivaufnahmen zu den vergangenen Punkten ihres Lebens zurückkehrt. Ganz zu Beginn, in ihrer Kindheit, steht der prägende Suizid der älteren Schwester, zu dem All the Beauty and the Bloodshed am Ende wieder einen Bogen spannen wird.

Der repressive elterliche Haushalt, in dem die rebellischen Töchter in Zaum gehalten werden sollten, wurde auch für Nan bald zu eng. So verließ Goldin ihr Elternhaus bereits als jüngere Teenagerin. Durch ihre Zufallsbekanntschaft mit David Armstrong, in dem sie ihren ersten Seelenverwandten kennenlernte, setzte sie ihren Fuß in die queere Künstler*innenszene von Boston, bevor sie sich in Provincetown mit John Waters und Cookie Bowers befreundete und ein wenig später mitten in die New Yorker Post-Punk und Post-Stonewall-Periode einzog.

In dieser Zeit fotografierte Goldin ihre Mitmenschen unentwegt und bewunderte die Schönheit vieler drag queens, während sie etwa in der legendären Tin Pan Alley Bar arbeitete. Einen visuellen und biografischen Bogen spannt der Film auch durch slide shows aus Fotografien von Goldin, die jeweils die insgesamt die sieben Kapitel eröffnen. Zwischen 1979 und 1986 gefertigte Fotografien versammelte sie etwa in The Ballad of Sexual Dependance, die einen wichtigen Teil von Goldins Leben repräsentiert – eine Zeit, bevor die AIDS-Krise über die Szene hereinbrach und vielen von Goldins Freund*innen den Tod brachte.

Goldins Bilder von Sex, Drogen und Gewalt sind heute wichtiger Bestandteil eines fotografischen Repertoires – nachdem sie mit ihren Arbeiten auch vielfach auf Ablehnung und Skepsis gestoßen war. Wie groß der politische Gehalt ihres Werks ist, zeigt ein Selbstporträt, auf dem Goldin mit starken Gesichtsverletzungen zu sehen ist. Ihr damaliger Partner hatte sie geschlagen, nachdem Goldin The Ballad of Sexual Dependance veröffentlicht hatte, in deren Bildern er selbst zu sehen ist. Das Bild sprach für sich.

Menschen, die selbst häusliche Gewalt erlebten, wären, nachdem sie die Fotografie gesehen haben, ermutigt geworden, aktiv zu werden, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, so Goldin. Hier findet Schmerz sein Ventil in der Kunst und artikuliert sich als Selbstverteidigung, sagt dem Opferstatus den Kampf an. Auch aus den Aktionen der Gruppe P.A.I.N. sprechen kollektiver Schmerz, Kampfgeist und die Ablehnung der eigenen Resignation. Gegen Ende von All the Beauty and the Bloodshed berichten Sucht-Opfer im Zuge der Anklage gegen die Sackler-Familie von ihrem Schicksal; der Film gelangt zu einem emotionalen Höhepunkt, in dem die untrennbaren Pole aus Schmerz und Hoffnung, Schönheit und Tod, Privatem und Politischem, Leben und Kunst eine einzigartige filmische Schlagkraft erzeugen. Beauty and Bloodshed: der Titel ist Programm und Teil von Goldins Leben, von Anfang an.

 

All the Beauty and the Bloodshed (2022)

Der Dokumentarfilm folgt dem Leben der US-amerikanischen Fotografin Nan Goldin und dokumentiert ihren Kampf gegen die Oxycodon-Hersteller-Familie Sackler. Diese wird für die Opioidkrise in den Vereinigten Staaten mitverantwortlich gemacht.

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