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In „Between the Temples“ beobachtet Nathan Silver, wie Jason Schwartzman und Carol Kane einander aufrütteln und dadurch neuen Halt im Leben geben.

Between the Temples (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

In der Krise

Haben Coming-of-Age-Prozesse eine Altersgrenze? In flachen Komödien wie „Kindsköpfe“ (2010) wird die ewige Unreife von Figuren ohne den geringsten Anflug von Reflexion gefeiert. Doch auch in komplexeren, meist tragikomischen Filmen wie „Garden State“ (2004) oder „The Future“ (2011) wird das „Erwachsenwerden“ von Personen jenseits der Jugend erfasst. Oft geht es dabei dann um den Wunsch, sich mit verpassten Chancen auseinanderzusetzen und die eingeschlagenen Lebenswege noch einmal kritisch zu hinterfragen.

Der Kantor Ben Gottlieb (Jason Schwartzman) ist Mitte 40. Seine Ehefrau, mit der er in einem schicken Haus wohnte, war Schriftstellerin (und Alkoholikerin). Regelmäßig hinterließ sie ihm erotische Sprachnachrichten. Vor einem Jahr ist sie bei einem merkwürdigen Unfall gestorben; seither lebt Ben wieder bei seinen beiden Müttern Meira (Caroline Aaron) und Judith (Dolly de Leon). Da er seine Gesangsstimme verloren hat, fürchtet er, den Erwartungen von Rabbi Bruce (Robert Smigel) im örtlichen Tempel nicht mehr gerecht zu werden. Bruce plant indes, Ben mit seiner Tochter Gabby (Madeline Weinstein) – einer mäßig erfolgreichen Schauspielerin – verkuppeln zu können, die ebenfalls eine ziemlich schwierige Phase hinter sich hat.

Eines Tages trifft Ben nach einem heftigen Absturz in einer Bar auf die chaotische Carla (Carol Kane). Die beiden kennen sich von früher, als Carla Bens Musiklehrerin in der Grundschule war. Die rund 70-jährige Witwe hat plötzlich den Einfall, ihre Bat Mitzwa nachzuholen und sich von Ben unterrichten zu lassen. Alsbald werden die Stunden in Carlas Haus verlegt – und das Duo kommt sich unerwartet näher. Aber nicht nur Carlas Sohn Nat (Matthew Shear), der mit seiner Familie anreist, sondern auch der Rabbi und die strenge Judith scheinen mit dieser Verbindung ganz und gar nicht einverstanden zu sein.

Zusammen mit seinem Co-Autor C. Mason Wells schildert der Regisseur Nathan Silver in Between the Temples von den Erlebnissen zweier Menschen, die sich trotz eigener Sorgen gegenseitig zu inspirieren und zu unterstützen vermögen. Die Beziehung zwischen Ben und Carla ist irgendwo zwischen einer sich rasch vertiefenden Freundschaft und einer recht unverhofft entstehenden Romanze angesiedelt. Im leicht schwarzhumorigen Ton und im Tempo erinnert das Werk an Hal Ashbys Klassiker Harold und Maude (1971); der liebevolle Einblick in den jüdischen Alltag lässt zudem an den wunderbaren Ensemblefilm Love Is All There Is (1996) von Joseph Bologna und Renée Taylor denken.

Hier werden die Stärken dieser zwei Arbeiten gekonnt vereint. Jason Schwartzman (in einer der intensivsten Darstellungen seiner bisherigen Karriere) und die begnadete Komödiantin Carol Kane bilden ein herrliches Leinwandpaar, das sich lustvoll mit Screwball-Pointen bewirft. Flankiert wird dieses Paar wiederum von einer großartigen Gruppe von Nebenfiguren, denen wir alle sofort glauben, dass sie jeweils ihre eigenen Geschichten außerhalb der unkonventionellen Lovestory von Ben und Carla haben.

Viele Sequenzen muten in ihrer Lockerheit und mit ihren überlappenden Dialogen improvisiert an; die Kamera von Sean Price Williams wuselt oft unruhig zwischen den Beteiligten umher und geht häufig nah heran, um das völlige Durcheinander einzufangen. Eine Passage gegen Ende, in der ein schönes Abendessen bei Bens Müttern in geselliger Runde stattfinden soll, ist an Comedy-Timing (kombiniert mit sanfter Melancholie) kaum zu überbieten. Mit etlichen kleinen Details – etwa extrem unpraktischen, überdimensionalen Speisekarten in einem Restaurant oder einer defekten Tür in Bens Elternhaus – ist Between the Temples genau das, was Ben an einer Stelle im bestgemeinten Sinne über Carla sagt: „a different kind of funny.“ Ein sehr herzerwärmender, eigensinnig charmanter Film mit tollem Personal.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Between the Temples (2024)

Die Welt eines jüdischen Kantors, der sich in einer Glaubenskrise befindet, gerät gänzlich aus den Fugen, als seine Musiklehrerin aus Grundschulzeiten als späte Bat-Mizwa-Schülerin wieder in sein Leben tritt. (Quelle: Berlinale)

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