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Liebesfilme über Paare mit großem Altersunterschied sind ohnehin selten, fast nie aber handeln sie von einer Frau im Rentenalter und einem jüngeren Mann. Das scheint sich nun zu ändern: Das Kino entdeckt dieses lange tabuisierte Thema neu, wie auch „70 ist auch nur eine Zahl“ zeigt.

70 ist auch nur eine Zahl (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die Popdiva und ihre junge Liebe

Seija Kuula (Hannele Lauri) ist in Finnland eine lebende Legende der Popmusik. Fit und vergnügt steht sie in glitzernden Gewändern auf den Konzertbühnen und singt, als wäre ihr Alter von 69 Jahren das neue 50. Aber es verdirbt ihr die Stimmung, wenn andere sie an den Zahn der Zeit erinnern. Junge Songwriter, die ihr Verse für ein neues Lied dichten sollen, texten über die Liebe, die Falten glättet und so weiter. Dann lernt Seija den Musiker Lauri (Mikko Nousiainen) kennen, einen Mann in den Vierzigern. Er komponiert für sie ein Lied und geht mit ihr ins Bett. Zu ihrer Überraschung spricht er am nächsten Morgen nicht von einem One-Night-Stand. 

Wäre Seija der Mann und Lauri die etwa 25 Jahre jüngere Frau, würde sich niemand über ihre Beziehung wundern. So aber liegt der Sängerin viel daran, sich mit Lauri nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Ein Kuss, eine Zärtlichkeit wären ein gefundenes Fressen für die Zeitungen und vor allem für die Zeitgenossen, die bei jeder Gelegenheit ungebeten ihre Handykameras einschalten. Seija hat Angst vor bösen Kommentaren, und die bleiben nicht aus. Denn wie sich herausstellt, ist Lauris Mutter Mirja (Marja Packalén) die Kindheitsfreundin, die Seija am Beginn ihrer künstlerischen Karriere aus den Augen verlor. Nach der ersten Freude über das Wiedersehen geigt Mirja der Freundin die Meinung. Schließlich habe sich Lauri von seiner Frau scheiden lassen, weil sie keine Kinder wollte! Seija will Lauris Traum nicht im Wege stehen. Da fällt ihr ein, dass ihre Stylistin Shanella (Misa Palander), die sich so sehr nach dem Mutterglück sehnt, doch mit Lauri und ihr eine Vereinbarung treffen könnte…

Die Komödie der finnischen Regisseurin und Drehbuchautorin Johanna Vuoksenmaa spielt mit dem nach wie vor tabuisierten Thema einer Liebe zwischen einem Mann und einer viel älteren Frau wie mit Bauklötzchen. Im Wechsel wird der Turm aus traditionellen Klischees und Vorbehalten errichtet und lustvoll umgestoßen. Seija fürchtet das Altwerden wie ein Gespenst, welches ihre Karriere, ihr Image und ihr freies Leben bedroht. Damit ist sie viel abhängiger von der vermuteten Meinung anderer, als sie eigentlich will. Aus diesem Zwiespalt speist sich der wenig zimperliche Humor der Komödie, die vom gutgelaunten Spiel der Hauptdarstellerin profitiert. Wie Seijas Gesichtsausdruck regelrecht einfriert, wenn sie beispielsweise das Altenheim besucht, in dem ihre Freundin Mirja lebt, ist immer wieder lustig anzusehen. 

Der Film teilt mit dem französischen Drama Im Herzen jung nicht nur sein Thema, sondern auch die Unbefangenheit des männlichen Partners. Wie der 45-jährige Arzt in Carine Tardieus Film hat auch Lauri keinerlei Problem damit, eine Seniorin zu lieben. Diese Männer verkörpern den Wandel der Zeit, ein sanftes Selbstbewusstsein, das Offenheit mehr schätzt als soziale Scheuklappen. Vouksenmaa versucht ebenso wenig wie Tardieu, den kontroversen Aspekt dieser Beziehung zu leugnen und in Harmlosigkeit zu verkehren. Wer sich auf einen alten Partner einlässt, muss sich auch mit dem Altern auseinandersetzen – und so gegen den gesellschaftlichen Strom schwimmen. Auch wenn die Liebe funktioniert, löscht sie den Unterschied der Lebensjahre nicht aus. Wenn die Frau die Ältere ist, fällt das Problem stärker ins Gewicht, weil das Frauenbild traditionell eben viel mehr aufs Körperliche abzielt. Die finnische Komödie packt die Themen fast schon karikierend beim Schopfe, indem sie ihre Heldin sogar eine Art Leihmutterschaft oder Dreiecksbeziehung zwischen sich, ihrem Freund und der künftigen Mutter seines Wunschkindes arrangieren lässt.

Für filmisches Vergnügen sorgen auch die Nebenrollen. Da wäre die mollige Shanella, die mit ihrer biederen Frisur und ihrer Vorliebe fürs Stricken viel langweiliger — sprich: älter — als Seija wirkt, obwohl sie näher an Lauris Jahrgang ist. Shanella findet offenbar keinen Partner und ist, zusätzlich zu ihrem Kinderwunsch, auch daran interessiert, den sexuellen Akt zu erleben. Seija aber bleibt, argwöhnisch und eifersüchtig, stets in der Nähe. Die tollpatschige, unbedarfte Shanella funktioniert gut als Sidekick für die komplizierte, dominante Seija. Die zweite komödiantische Nebenfigur ist die Seniorin Mirja, die kein leichtes Leben hatte und Seija egoistisches Verhalten vorwirft. Mirja wirkt viel geerdeter und bietet der prätentiösen Sängerin wortstark Paroli. Als alte Freundinnen gehören sie dennoch zusammen – und wenn Lauri einmal unerwartet zu Seija kommt, kann es sein, dass in ihrem Schlafzimmer gerade seine Mutter übernachtet.

Ein bisschen unrund wirkt die Komödie, weil sie so viele Tonlagen ausprobiert zwischen derbem Humor und kühler Ernüchterung. Auch ihr Blick auf die Hauptfigur schwankt, ist mal ironisch, dann wieder verständnisvoll. So richtig einfühlsam oder tiefschürfend aber wird es nie, dafür bleibt die Geschichte zu pragmatisch: Seija hat, gerade weil sie nicht mehr jung ist, gar keine Zeit, sich mit Grübeleien aufzuhalten.

70 ist auch nur eine Zahl (2021)

Seija Kuula ist eine Superstar-Sängerin und Diva mit einer jahrzehntelangen Karriere. Die Probleme beginnen, als Seija sich in einen jüngeren Mann verliebt und alle um sie herum an einem schlimmen Fall von „Baby-Fieber“ zu leiden scheinen. Seija schmiedet einen Masterplan, um alle glücklich zu machen, nur um festzustellen, dass man mit der Liebe nicht spielen kann. (Quelle: Verleih)

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