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In seinem Langfilmdebüt „Goodbye Julia“ erzählt der sudanesische Regisseur Mohamed Kordofani von Ausgrenzung und Rassismus.

Goodbye Julia (2023)

Eine Filmkritik von Reinhard Kleber

Schuld und Sühne im Sudan

Im August 2005 ziehen wütende Demonstranten durch die Straßen der sudanesischen Hauptstadt Khartum und zünden ein Auto vor dem Nachbarhaus der ehemaligen Sängerin Mona an. Ihr Nachbar Bakri vertreibt die Randalierer mit einem Gewehrschuss. Ihr Mann Akram beendet den Brand mit einem Feuerlöscher. Das Fernsehen berichtet, dass Vizepräsident John Garang beim Absturz eines Hubschraubers ums Leben gekommen sei und in Khartum Unruhen ausgebrochen seien. Die politischen Spannungen des riesigen Landes mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit und einer christlichen Minderheit prägen den ersten Spielfilm des sudanesischen Regisseurs Mohamed Kordofani schon in den ersten Szenen. Von Anfang an macht er klar, dass die politische Machtverteilung und ihre Veränderungen tief in das Privatleben der Bürger/innen eingreifen.

Die attraktive Muslimin Mona (Eiman Yousif) führt in einem gutbürgerlichen Viertel Khartums ein privilegiertes Leben. Auf Drängen ihres strenggläubigen Mannes Akram (Nazar Goma) hat sie ihre große Passion, das öffentliche Singen eingängiger Lieder, aufgegeben. Heimlich macht sie jedoch in ihrem Auto weiter Gesangsübungen und besucht – in einen schwarzen Nikab gehüllt – Jazzkonzerte. Bei einer solchen Autofahrt übersieht sie den fünfjährigen Danny und fährt ihn an. In Panik verlässt sie den Unfallort, aber Dannys Vater Santino verfolgt sie mit dem Motorrad bis zu ihrem Haus. Als Santino sie dort zur Rede stellen will, stellt sich ihm Akram in den Weg und erschießt ihn.

Santinos junge Ehefrau Julia (Siran Riak) sucht später nach ihrem verschwundenen Mann, kann ich aber nicht finden, weil die korrupte Polizei die Leiche hat verschwinden lassen und die Ermittlungsakten gefälscht hat. Getrieben von Gewissensbissen macht Mona die Christin ausfindig und stellt sie als Dienstmädchen ein. Zudem bringt sie auf eigene Kosten Danny in einer nahe gelegenen Privatschule unter. Akram, der Südsudanesen als „Wilde“ und „streunende Hunde“ verunglimpft, beobachtet die aufkeimende Freundschaft zwischen den Frauen mit Argwohn.

2005 ist ein Schlüsseljahr in der sudanesischen Zeitgeschichte. Im Januar schlossen die arabisch dominierte Regierung des Staatschefs Omar Hassan al-Baschir und die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung SPLM das Friedensabkommen von Naivaha, das den 21 Jahre währenden Bürgerkrieg mit rund zwei Millionen Todesopfern beenden und die Aussöhnung zwischen dem muslimisch geprägten Norden und dem christlich geprägten Süden des Landes einleiten sollte. Das Abkommen gewährte dem Südsudan vorerst weitgehende Autonomie. Am 9. Juli trat eine neue Verfassung in Kraft, die den Christen religiöse und politische Rechte und dem Norden einen Anteil an den reichen Ölvorkommen des Südens sichern sollte. Doch am 30. Juli verunglückte der gerade erst als Vizepräsident vereidigte Ex-Rebellenchef Garang tödlich, was zu neuen Unruhen und Plünderungen führte.

Die zweite Hälfte des zweistündigen Films setzt im Dezember 2010 ein, wenige Monate vor der lange geplanten Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli 2011. Aktivisten der SPLM werben auf Versammlungen für das Ja zur Abspaltung, darunter der ehemalige Leutnant Majier, der zugleich Julia umgarnt. Während Mona zunehmend unter der Last der Lügen leidet, wendet sich Dany, der an seiner Schule ausgegrenzt wird, Hilfe suchend an Majier. Weil er unbedingt will wissen, wo sein Vater geblieben ist, tritt er unfreiwillig eine folgenreiche Lawine der Ereignisse los.

Kordofani, der seit 2015 mehrere Kurzfilme realisiert hat, erzählt sein Charakterdrama in langen ruhigen Einstellungen, die dem Kameramann Pierre de Villiers viel Zeit lassen, auf den Gesichtern der Schauspielerinnen zu verweilen. Sowohl Eiman Yousif als Mona als auch Siran Riak als Julia nutzen die Zeit, ihre emotionalen Verwerfungen eindringlich darzustellen. Sie reichen bei Yousif von Gewissensbissen, Reue und Verzweiflung über das Unbehagen über Notlügen bis zu Scham und Wiedergutmachungsversuchen – und leuchtenden Augen, wenn ihre Mona erstmals nach Jahren wieder auf einer Bühne singt.

Und Riak versucht angestrengt, die innere Balance zwischen Trauer, Furcht vor Armut, Demütigung und Fürsorge für den Sohn zu halten. Obwohl der Filmtitel die Aufmerksamkeit auf Julia lenkt, hat Mona etwas mehr Leinwandzeit und erweist sich mit ihrer inneren Zerrissenheit als die spannendere, komplexere Figur – zumindest bis einer Enthüllung Julias kurz vor Schluss.

Scheinbar beiläufig wirft die bedächtige Inszenierung immer wieder Schlaglichter auf eine patriarchalische Gesellschaftsstruktur, in der Frauen systematisch unterdrückt und Südsudanesen als Bürger zweiter Klasse diskriminiert werden. Paradigmatisch dafür ist die Selbstverständlichkeit, mit der der misstrauische Akram die Anrufliste auf dem Mobiltelefon seiner Frau kontrolliert. Oder wenn sie ihm lange verschweigt, dass sie unfruchtbar ist, weil sie befürchtet, dass er sich sofort eine neue Frau zulegt.

Mehrfach legt Kordofani auch den Finger in die Wunde des Rassismus. So brüstet sich Akram einmal damit, dass sein Großvater noch Sklaven hielt. Kein Wunder, wenn die schwarze Bevölkerung im Film keineswegs überrascht ist, dass arabische Polizisten die Tötung eines Südsudanesen vertuschen, sodass der Täter straffrei bleibt. Es dürfte kein Einzelfall sein.

Bei einer Laufzeit von zwei Stunden schleichen sich in der geradlinigen Inszenierung einige Längen ein, die hauptsächlich durch eine Raffung narrativer Seitensträngen leicht vermeidbar gewesen wären. Gleichwohl ist Goodbye Julia, der 2023 als erster sudanesischer Beitrag in der renommierten Sektion Un Certain Regard auf den Filmfestspielen in Cannes lief und mit dem Prix de La Liberté ausgezeichnet wurde, ein bemerkenswerter Regieeinstand. In bewegenden Bildern zeigt der Film am Beispiel des Sudan nicht nur, wie folgenreich das Private und das Politische ineinanderfließen, sondern setzt auch ein bewegendes Zeichen für Humanität, Barmherzigkeit, Versöhnung und Völkerverständigung. Angesichts der jüngsten Schreckensmeldungen über Kämpfe, Vertreibungen und Hungersnöte im Sudan gewinnt Kordofanis Film umso größeres Gewicht.

Goodbye Julia (2023)

Kurz vor der Abspaltung des Südsudan sucht eine verheiratete ehemalige Sängerin aus dem Norden Wiedergutmachung dafür, dass sie den Tod eines Mannes aus dem Süden verursacht hat, indem sie dessen ahnungslose Frau als Dienstmädchen einstellt.

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Meinungen

Marjatta Stöbe · 13.01.2024

Ein genialer Film! So viel Herz, tolle Bilder und viele Informationen zu dem Thema, die spannend aufbereitet sind. Unbedingt angucken!