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Ein Comedian hat Demenz, totale Probleme im zwischenmenschlichen Bereich, und die Karriere ist auch am Boden. „Stand up!“ könnte absurd sein und bizarr komisch. Ist es aber überhaupt nicht.

STAND UP! Was bleibt, wenn alles weg ist (2021)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Witz komm raus

Ein Stand up-Comedian, der mal eine große Nummer war, weckt jetzt nicht einmal mehr ein Gähnen, und überhaupt ist sein ganzes Leben scheiße: So könnte man „Stand up!“ zusammenfassen. Charlie Schwarzer (Timo Jacobs) ist am Boden, und aufstehen kann er nicht mehr, er liebt und hasst seine Frau, alkoholbedingte Demenz frisst sein Gehirn, ein schmieriger Schneider ist hinter ihm her, und der Schwiegervater zieht ihn in Kunstmafia-Geschäfte – das ist, kurz gesagt, entweder viel zu viel für diesen Film oder viel zu wenig.

Timo Jacobs, Hauptdarsteller, Regisseur, Produzent, Co-Drehbuchautor, versucht sich in einem Drama auf Comedy-Boden; das klappt leider nicht. Seine vorherigen Filme waren lockere Übungen im Absurden gewesen, Klappe Cowboy! (2012) und Mann im Spagat (2017) etablierten eine wahnwitzige Figur, „Cowboy“, einer, der immer scheitert und immer versucht und immer die Realität verweigert und dabei eine enorm große Klappe hat. Jetzt ist Jacobs’ Filmfigur Charlie depressiv, weil nichts mehr klappt, und der Witz geht verloren, macht Platz dem Selbstmitleid, in dem Charlie sich suhlt, und der Zerstörungskraft, die ihn und andere kaputt macht. 

Ein altes Klischee: Der traurige Clown, der für sein Publikum lustig ist und privat so gar nicht. Ein Klischee, das sich in der Wirklichkeit ab und an bestätigt – siehe Kurt Krömer, der seine Depression öffentlich machte, siehe das tragische Schicksal von Robin Williams. Mit derartigen Realitätsbezügen – wie sie beispielsweise Judd Apatows Funny People / Wie das Leben so spielt oder in Scorseses King of Comedy das Komikerleben filmisch präsentiert – hat Stand up! nichts zu tun. Auch radikale Selbstzerfleischung wie bei Oscar Roehler ist nicht Sache dieses Films – er badet schlicht in der unoriginellen Idee, einen Comedian zu zeigen, der im privaten Leben down ist; und da dieses Motiv nicht mit Leben gefüllt wird, dabei alle Einblicke in die Comedy-Szene oberflächlich bleiben und die Erzählung zerfasert, bleibt vor allem Desinteresse.

Dazu kommt Demenz. Denn Charlie Schwarzer hat ein Hirnproblem. Eine Szene mit einem seltsam gut aufgelegten Arzt erklärt das: Alkohol, Zerfressen der Zellen, das Korsakow-Syndrom zerstört das Erinnerungsvermögen. Aber andererseits spielt diese Diagnose in dem Film lange gar keine Rolle, weil Schwarzer sowieso Witze mit langem weißem Bart erzählt – erst in der zweiten Hälfte nimmt Stand up! wieder Bezug auf diese Erkrankung, von der man bis dahin überzeugt war, dass sie nur einer Halluzination entsprungen sei. Mit einem Comedy-Drama, das einen Komiker mit Krankheit in Verbindung bringt – wie beispielsweise Michael Showalters The Big Sick – hat das nichts zu tun.

Witze können schlecht sein und trotzdem lustig. Kommt drauf an, wie man sie erzählt. Charlie Schwarzer kann keine Witze erzählen – mal ganz abgesehen davon, dass er sowieso keine Witze erfinden kann, außer bitter-sarkastische Sprüche raushauen, die andere und ihn verletzen. Es bleibt sich also gleich, ob gute Witze oder schlechte Witze, wenn sie falsch erzählt sind. Hier ist alles falsch erzählt, denn die Witze: Es sind die Witze, die schon Schwarzers Vater erzählt hat, bei der Beerdigung schwärmt noch der Pfarrer davon. Beispiel: Am Flughafen wird er gefragt, ob er Drogen dabei hat. Antwort: „Was brauchst du?“ – und dies wird nicht erzählt in einer von Schwarzers Tiefphasen, sondern beim großen Comeback.

Ich muss es wissen: Seit frühester Kindheit bin ich passionierter Leser aller Witze, die mir unterkommen, im „Neuen Blatt“, in der „Neuen Post“, im „Tip der Woche“… Billigste Witze sind das, ich kenne sie alle. Und Charlie Schwarzer muss ähnlich drauf sein, nur, dass er meint, mit dem Vortrag dieser Witze auf der Bühne Erfolg haben zu können. Der Irrsinn ist: Das ist keine irrige Meinung des Protagonisten, sondern der Film behauptet genau das, nämlich den möglichen Erfolg mit diesen Witzen, ein Erfolg beim Publikum und auch im persönlichen Bereich von Depression und Beziehungskrise. Ja, in den ’60ern, da hätte das funktioniert – sogar noch in den ’80ern, Stichwort Fips Asmussen. Aber in der neuen Comedyszene, die Timo Jacobs mit seiner Charlie Schwarzer-Story feiern will – nee. 

Das Ganze wird verkompliziert mit Nebenstories: Dass Charlies Schwiegervater ein Kunstnarr ist, für den Sammeln und Stehlen eins sind, und dass Charlie in seiner Geldnot in dieses Gemisch aus Kunstmarkt und Kunstmafia hineingerät – das hätte den Film pushen können, in der Gegenüberstellung der Sphären von „Hochkultur“ und „niederem Stand-up“. Dass aber ein Schneider (Dieter Landuris) Charlie nachjagen lässt von handgreiflichen Handlangern, ihm die Wohnung ausräumt und Charlies Frau das Hauskaninchen klaut, das ist denn doch zu albern dafür, dass hier so etwas wie ein Charakterdrama gespielt werden soll. Zwischendurch treten mysteriöse Männer in Glatzenmasken auf. Und Lana Cooper spielt eine Polizistin, die mit dem Film so gar nichts zu tun hat. So zerfasert die Story, die angedachte Tragik-Komödie zerfällt ins Untragbar-Unkomische.

Timo Jacobs hat seine vorherigen Filme als Feier von Freiheit inszeniert, in denen alles möglich ist und die dann noch das Unmögliche dazunehmen. Stand up! ist leider letztlich zu frei, zu lose, lässt alles auseinanderfallen – oder andererseits: Stand up! ist zu unfrei, bindet sich zu sehr an die Konventionen von Figurencharakterisierung, von Dramatisierung, von Emotionalisierung, schafft es aber eben doch nicht, die Farce hinter sich zu lassen. Er ist nicht absonderlich genug, um ins Absurde zu schweifen, für ein Drama aber nicht stringent genug, um den Zuschauer zu packen. So fällt der Film zwischen allen Stühlen auf die Nase.

STAND UP! Was bleibt, wenn alles weg ist (2021)

Charlie Schwarzers Karriere als Stand-Up zündet nicht mehr. Seine Vergesslichkeit wird als Demenz diagnostiziert und bevor er mit seiner geliebten Emilie darüber sprechen kann, verlässt sie ihn. Charlie erforscht seine Ausfälle und versucht den Humor neu zu entdecken, dabei wird er in einen Kunstraub verwickelt. Das »Bild der Liebe« ist abhanden gekommen. Wir begeben uns auf eine Odyssee, zurück auf die Bühne des Lebens. (Quelle: Sabcat Media)

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