Zero Dark Thirty (2012)

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Eine Frau jagt einen Mann

Am Anfang war die Dunkelheit. Und in der Dunkelheit: Schreie.

Als die Terrororganisation al-Qaida am 11. September 2001 vier Passagierflugzeuge entführte und damit Selbstmordanschläge auf verschiedene zivile und militärische Ziele flog, wurde die Weltordnung umgeschrieben. Über 3000 Menschen kamen bei den Anschlägen ums Leben. In Folge der Attentate rief die USA zum Kampf gegen den Terror und al-Qaida Anführer Osama bin Laden auf. Zero Dark Thirty, der neue Film von Kathryn Bigelow (Tödliches Kommando / The Hurt Locker), handelt von diesem Kampf – allerdings auf eine unerwartete und sehr persönliche Weise.

Zero Dark Thirty erzählt die Geschichte einer CIA-Spezialeinheit, die nach dem 11. September versucht, Osama bin Laden, den Drahtzieher der Anschläge zu finden und zu eliminieren. 2003 wird die CIA-Agentin Maya Lambert (großartig: Jessica Chastain) nach Pakistan versetzt, um im Team von Daniel Stanton (Jason Clarke) entscheidende al-Qaida-Soldaten aufzuspüren. Folter gehört in diesem Job dazu, der Zweck heiligt die Mittel. Und wirklich bekommen die beiden Agenten in einem Verhör Hinweise, die zu dem geheimnisvollen Abu Ahmed führen. Könnte es wirklich sein, dass Maya und Dan eine Spur haben, die direkt zu bin Laden führt?

Im Zentrum des Films steht Maya, für die die Suche nach bin Laden zu einer persönlichen Besessenheit wird. Der Zuschauer nimmt teil an den zermürbenden, von Misserfolgen gekennzeichneten Recherchen, die sich über viele Jahre hinziehen. (In dieser Hinsicht erinnert Bigelows Film ein wenig an David Finchers Zodiac.) Maya verliert dabei ihren Kollegen Dan, der sich ausgebrannt nach Washington zurückzieht sowie die Kollegin Jessica (Jennifer Ehle), die einem Anschlag zum Opfer fällt. Was genau in der spröden wie zielstrebigen Maya vor sich geht, erfährt der Zuschauer nicht. Und dennoch ist sie der Motor, der die Ermittlungen am Laufen hält und auch gegen Widerstände aus Washington bis zum apokalyptischen Finale stets das Ziel im Blick behält.

Bigelow ist mit Zero Dark Thirty ein ganz besonderer, vielschichtiger Film gelungen – allerdings auch einer, der weder über normale dramaturgische Strukturen verfügt, noch sich ohne weiteres einem Genre zuordnen lässt. Es ist ein Film über ein Trauma, doch eben nicht nur über ein gesellschaftliches, sondern ein individuelles. Will man es auf den einfachsten Nenner herunterbrechen, ist es wohl ein Film über eine Frau, die einen Mann jagt. Dies ist das wahre Kunststück, das Bigelow gelungen ist: Sie schafft es, das große Ganze am Detail zu zeigen und damit den Krieg gegen den Terror zu etwas Persönlichem zu machen. Weil es aber die Geschichte einer Frau und ihrer manischen Suche ist, wird Zero Dark Thirty gleichzeitig und fast paradoxer Weise wieder zu etwas sehr Allgemeinem: Er spielt in der Jetztzeit und ist doch zeitlos. Er legt die Mechanismen eines fast schon archetypischen Konflikts frei, wie er ebenso vor hundert, fünfhundert oder tausend Jahren hätte stattfinden können.

Zero Dark Thirty ist ein militärischer Begriff, der sich auf die halbe Stunde nach Mitternacht bezieht. Einen treffenderen Titel hätten sich Bigelow und der Autor des Drehbuchs, Mark Boal, nicht ausdenken können. Der Film spielt selbst in seinen hellsten Augenblicken stets in einem moralischen Zwielicht – ob in der afghanischen Wüste oder den lichtdurchfluteten Straßen von Islamabad. Kategorien wie „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „böse“ haben hier keine Bedeutung mehr. Die Folterszene am Anfang, welche Grausamkeit und Pragmatismus als das Gleiche erscheinen lässt, gehören zu den verstörenden Momenten des Films. Gäbe es keine Kunst, würde Geschichte wahrscheinlich tatsächlich immer von den Gewinnern geschrieben werden. Bigelow ist es hoch anzurechnen, dass sie sich in die dunklen Gefilde von Terroristen und Geheimdienstlern begeben und sich und ihr Projekt durch schwieriges politisches Gewässer manövriert hat. Das Ergebnis ist Zero Dark Thirty, ein Film, der Fragen aufwirft und viele Ereignisse der jüngeren Geschichte in neuem Licht erscheinen lässt.

Am Ende ist Schweigen. Die Schreie sind verstummt. Eine gezeichnete Frau sitzt in einem Flugzeug und weint. Ob es Tränen der Erleichterung sind, ist fraglich.
 

Zero Dark Thirty (2012)

Als die Terrororganisation al-Qaida am 11. September 2001 vier Passagierflugzeuge entführte und damit Selbstmordanschläge auf verschiedene zivile und militärische Ziele flog, wurde die Weltordnung umgeschrieben. Über 3000 Menschen kamen bei den Anschlägen ums Leben. In Folge der Attentate rief die USA zum Kampf gegen den Terror und al-Qaida Anführer Osama bin Laden auf.

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