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Natalie Portman ist Superstar Celeste, deren neues Album Vox Lux ihr Comeback einläuten soll. Doch eigentlich ist das total egal, denn Brady Corbets neuer Film ist kein Musikdrama, sondern ein atemberaubend politischer Wahnsinn. Was zur Hölle ist hier los?

Vox Lux (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Wahnsinn, hausgemacht

Es beginnt mit dem Ende. Genauer gesagt dem Abspann, der am Anfang von Brady Corbets (The Childhood of a Leader) neuem Film Vox Lux über die Bilder von einer ganzen Reihe von Krankenwagen rollt, die mit Blaulicht ins Krankenhaus fahren. In ihnen liegen Kinder, die gerade eines der so zahlreich gewordenen school shootings, einen Amoklauf in der Schule, überlebt haben oder noch um ihr Leben kämpfen. Eine von ihnen ist Celeste (Raffey Cassidy/Natalie Portman).

Die 15-Jährige hat eine Kugel in ihrer Wirbelsäule und wird zeit ihres Lebens Probleme damit haben. Aber sie lebt. Auf der Trauerfeier für die Opfer singt sie, unterstützt von ihrer älteren Schwester Eleanor (Stacy Martin) ein Lied, das ihre Schwester komponiert hat. Dies ist der Schnittpunkt diverser Themen, die Regisseur Brady Corbet in Vox Lux mit einer Vehemenz und Art bearbeitet, die man nicht kommen sieht und die einen überrollt, wie ein Zug. Aber Moment, erst noch einen Schritt zurück.

Die drei Akte des Filmes haben einen Vorspann, erzählt von Willem Dafoe, der in märchenhaften Worten davon berichtet, wie Celeste, die nie ein besonderes Talent hatte aber eben dieses „gewisse Etwas“, von dem alle immer sprechen, einst ein großer Star werden würde, doch dass über ihrem Ruhm immer etwas hängen wird, etwas Schreckliches, Geschmackloses, aber ganz und gar Zeitgeistiges. Und in der Tat, Celestes Auftritt mit einem kleinen, banalen Liedchen trifft eine trauernde amerikanische Nation zum Anfang der 2000er Jahre direkt ins Herz. Celeste wiederum wird von einem Manager ohne Namen (hervorragend heruntergekommen: Jude Law) unter die Fittiche genommen und schon ganz kurze Zeit nachdem sie und ihre KlassenkameradInnen erschossen wurden, steht Celeste in Stockholm in einem Studio und nimmt ihr erstes Album auf. Popmusik, Glitzer, Tänzerinnen – Celeste ist eine abgefahrene Popmelange aus Britney Spears und Sia (die den Film mitproduziert und die Songs beigesteuert hat). Es ist pervers, aber glitzernd, was hier passiert. Ihr Überleben einer inzwischen geradezu amerikanischen Gewalttradition macht sie im gleichen Atemzug zu einem Star und Produkt, dessen Geschichte dazu noch ausgeschlachtet und profitabel gemacht wird. 

Das klingt, wenn man es nacherzählt, alles recht brav und eher im Sinne eines klassischen Dramas. Doch Brady Corbet hat keinerlei Interesse an Klassischem oder Drama um des Dramas Willen. Vielmehr knallt er mit Vox Lux seinem Publikum einen Film vor den Latz, der es vor allem im Zusammenspiel seiner Einzelteile in sich hat. Auf ästhetischer Ebene ist der Film körnig und in dreckigen Farben, die viele Grau- und Blautöne beinhalten, welche von Anfang an eine bedrückende, kalte Aura schaffen. Konterkariert werden sie von Celestes ausgesprochen überbordender, ja regelrecht trashiger Garderobe, die sie zum coolen Superstar machen soll. Allerdings sieht sie darin oft eher aus wie ein unbarmherziger Erzengel und Vorbote des letzten Gerichts. Die Welt von Vox Lux ist keine schöne und warme. Sie ist bestimmt von ihrem gesellschaftspolitischen Klima, das den Film auf jeder Ebene durchströmt. Es ist eine Welt voller Zynismus, in der ein Leben nichts gilt und in der alle die Götzen des Kapitalismus und des seichten Entertainments anbeten. Celeste selbst ist eine solche Ausgeburt, sie wurde erschaffen aus Macht, Gier, Narzissmus und billigem Entertainment. Opium fürs Volk sozusagen und Nachfolgerin Gottes. Als am Tag ihres Comeback-Konzerts 2017 Männer mit Masken aus einem ihrer berühmten Videos Menschen an einem Strand mit den berühmt-berüchtigten AK47-Schnellfeuerwaffen niederstrecken, gibt Celeste bekannt, dass diese Männer dumm sind, weil sie im Namen ihres Gottes töten. Sie wünscht ihnen die Erkenntnis, dass es Gott nicht gibt, sie aber gern an sie glauben und zu ihr beten können.

Vox Lux nimmt also kein Blatt vor den Mund. Im Gegenteil, jedes Wort, jedes Bild ist ein direkter Schlag ins Gesicht. Dabei ist der Film absichtlich so überzogen, dass er einer Farce gleicht oder einer Persiflage. Doch wir alle wissen, dass unsere Welt derzeit so ist. Wir sind nur schon so daran gewöhnt, dass wir es erst bemerken, wenn ein Film wie dieser uns den Spiegel vors Gesicht hält. Und was man da sieht, ist gruselig, denn es ist wahr. Jede Sekunde des Filmes referenziert wahre Ereignisse, Momente, Ideen und Aussagen, mit denen wir uns genau jetzt auseinandersetzen müssen. Ereignisse und Ideen der letzten 20 Jahre, von 9/11 über Columbine, bis hin zu DAESH-Terror oder den Anschlägen im Bataclan und in Manchester ist alles dabei. Und nicht nur das, es verbindet sich zu einem großen Bild, zu einer Bestandsaufnahme, in der Celeste als Seherin genauso fungiert wie als ein aus diesen Taten und Werteverschiebungen erschaffener Homunkulus.

Es geht nicht nur ums Morden, Amoklaufen oder Terroranschläge-Verüben, sondern um die tiefe Seele unserer menschlichen Gemeinschaft, die immer zynischer, immer zersetzter wird. Es geht um Leid und die Macht, die dieses Leiden mit sich bringt. Es geht um Neue Medien und Film, Fernsehen und Musik als Narkotikum, um Identitätspolitik und um die Frage, wie ein Reality-Star zum Präsidenten wird. Corbet zündet die Welt an und lässt sie brennen. Das Publikum wird nicht verschont. So viel offensive Analyse wird verstören, so mancher wird den Film dafür hassen, vor allem weil er sich selbst vollkommen verweigert, ein wenig Balsam auf die Wunden zu legen und sei es nur mit schönen Bildern. Selbst die Popmusik, die hier ertönt, eignet sich nicht. Sie ist stets viel zu laut eingespielt, der Text lässt sich nicht hören, nur Rudimente davon, die alle gleich klingen. Wie ein Chor aus der Hölle, ein Schwanengesang der atonalen Art. Die Welt am Abgrund und Natalie Portmans Celeste tanzt dazu den letzten Götzentanz.

Vox Lux (2018)

In seinem Pop-Musical Vox Lux folgt Brady Corbet über einen Zeitraum von 15 Jahren dem Popstar Celeste auf ihrem Weg von einer nationalen Tragödie, die auch ihr Leben beeinflußt und prägt, bis auf den Olymp der Popmusik.

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