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Eine Therapeutin und ihre kranke Halbschwester fahren in einem Feuerwehrauto nach Norwegen – verfolgt von einer Therapiegruppe, einem Ehemann und einer Narkoseärztin. Katharina Wackernagels Regiedebüt ist ein schräger Roadtrip und garantiert nicht einschläfernd.

Wenn Fliegen träumen (2018)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Verträumt, verspielt, versponnen

Deutsches Kino ist oft berechenbar. Für ihren ersten Film als Regisseurin hat sich Schauspielerin Katharina Wackernagel vor allem Unberechenbarkeit vorgenommen. „Für mich war klar, wenn ich den Schritt hinter die Kamera mache, dann möchte ich einen Film erzählen, der ganz anders ist als das, was ich als Schauspielerin beim Fernsehen oder auch in meinen Kinorollen spiele“, sagt sie über ihr Debüt. Im internationalen Vergleich ginge die skurrile Truppe ihres Films beinahe schon als normal durch. Hierzulande ist sie tatsächlich erfrischend anders.

Das fängt ganz am Anfang und bei der Hauptrolle an. Für die umwerfende Thelma Buabeng, die endlich einmal keine Klischees erfüllen müsse, wie sie sagt, ist es die erste. Als Therapeutin Naja steht sie ganz in Weiß an einem verschneiten Flussufer und unterhält sich mit einem Herrn im schwarzen Frack (Robert Beyer). Die Tonspur rauscht jenseitig. Er sagt, er sei ihr Ururonkel. Vermutlich ist’s der Tod. Ein Traum? Eine Vorahnung? Eine Metaebene? Zumindest ein Gespräch voller Achsensprünge und unerwarteter Schnitte. Unerwartet geht es denn auch mit den übrigen Charakteren und der Handlung weiter.

In Najas Therapiegruppe sitzen lauter schräge Vögel: Nymphomanin Marie (Tina Amon Amonsen), die stets Leopardenfellmütze trägt, Autorenfilmer Peter (Zoltan Paul), der immer ahnt, in welche Richtung Wenn Fliegen träumen steuern wird, und der sechsfache Familienvater Ole (Robert Glatzeder). Sie alle eint die Einsamkeit. Nach dem Tod von Najas Vater kommt Testamentsvollstrecker Luz (Niels Bormann) hinzu. Mit dem vom Vater geerbten Feuerwehrauto fahren Naja und ihre schwerkranke Halbschwester Hannah (Nina Weniger) zur geerbten Hütte nach Norwegen. Dafür lässt Hannah einen wichtigen Arzttermin sausen. Also jagt ihr eine von Wackernagel selbst gespielte Anästhesistin gemeinsam mit Hannahs Ehemann Christian (Sebastian Schwarz) hinterher. Derweil ist die Therapiegruppe längst unterwegs. Das ungleiche Geschwisterpaar wiederum liest den spanischen Finnen Carlos (Johannes Klaußner) auf, der den Frauen mit seiner Lebenslust und einer Geschichte über zwei träumende Fliegen den Kopf verdreht.

Auch hinter der Kamera sind Geschwister am Werk. Wenn Fliegen träumen ist die vierte Zusammenarbeit von Katharina Wackernagel und ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Jonas Grosch. Dreimal, bei Résiste – Aufstand der Praktikanten (2009), Groschs Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in Potsdam, bei Die letzte Lüge (2011) und bestefreunde (2015), stand Wackernagel unter der Regie ihres Bruders vor der Kamera. Bei ihrem eigenen Regiedebüt ist Grosch als Drehbuchautor und Produzent beteiligt. Dieses Mal haben sich die beiden das Thema Einsamkeit vorgenommen. Dabei können sie sich abermals auf ein überzeugend aufspielendes Ensemble verlassen, dessen Großteil sich bereits in den früheren Filmen des Duos bewährt hat.

Das Skript zu diesem Roadtrip lag 13 Jahre lang in der Schublade. Seinerzeit hätten die Sender eine Förderung abgelehnt. „Humor und Skurrilität sowie dramaturgisch unkonventionelle Strukturen mit solchen Instituten zu besprechen, ist oft sehr mühselig“, weiß Wackernagel. Das scheint seit Langem die Krux der deutschen Filmförderlandschaft. Zwar werden Nachwuchs und Debüts unterstützt, deren Kreativität durch die Vorgaben der Redakteure der Sendeanstalten aber oft beschnitten. Vielleicht wäre der Film heute durchgegangen. Immerhin ist die Lust am Experiment gewachsen. Selbst das Flaggschiff der sonntäglichen Krimiunterhaltung, der Tatort, schwingt sich ja mittlerweile zu nicht für möglich gehaltenen Genre-Experimenten auf. Als die Umsetzung des Drehbuchs endlich feststand, hätte man sich aber aus Zeitmangel gegen einen neuen Förderantrag entschieden, gibt Wackernagel zu Protokoll. So waren der Produktion zwar enge finanzielle, aber keine künstlerischen Grenzen gesetzt.

Beides ist Wackernagels Debüt anzusehen. Die Digitalästhetik erinnert mehr ans Fernsehen denn an großes Kino. Nicht alles ist logisch, nicht alles flüssig, nicht jede Einstellung sitzt. Wenn Fliegen träumen trägt dieses Unfertige, diesen Mut zur Lücke jedoch mutig zur Schau. Die verspielte wie versponnene Geschichte, bei der das Publikum nie weiß, welche Verrücktheit hinter der nächsten Ecke lauert, und der einfallsreiche Einsatz der formalen Mittel machen das allemal wett.

Mal schwebt die Kamera hoch über dem Geschehen, mal fliegt Wackernagels Figur auf einem Motorrad durch die Luft. Mal treiben verstärkte Gitarren, mal von einem Akkordeon unterstützte Blechbläser Handlung voran. Der Humor steigert sich in absurde Höhen. Zu sehen sind unter anderem: ein Drogenrausch im Elchkostüm, der in einer neuen Beziehung endet, eine Verfolgungsjagd bei 70 Kilometern pro Stunde, die in einer Sackgasse endet, oder ein norwegischer Polizist, der Fisch hasst und in Najas Therapiegruppe endet.

Wenn Fliegen träumen ist ein kleine, traumhaft-verträumte Tragikomödie. Eine Idee davon, wie deutsches Kino auch aussehen könnte. Und neben anderen Experimenten der jüngeren Vergangenheit eine weitere willkommene, flott inszenierte Abwechslung im moralinsauren Betroffenheits- und Befindlichkeitsquark.

Wenn Fliegen träumen (2018)

Die einsame  Psychotherapeutin  Naja und ihre suizidgefährdete Halbschwester Hannah machen sich in einem roten Feuerwehrauto auf den Weg nach Norwegen. Begleitet werden sie auf dem Trip von dem Spanier Carlos, der nach Finnland will. Doch die erhoffte entspannende Ruhe der Einsamkeit will sich nicht einstellen, denn die Reisegruppe wird von einem Haufen eigenwilliger gestrandeter  Persönlichkeiten verfolgt. Jeder hat seine eigene Art, damit umzugehen, und so vernebeln ihnen mit jedem weiteren Kilometer der Wodka und die Tabletten mehr und mehr die Sinne.Und irgendwo dazwischen sind ein paar Fliegen, die plötzlich anfangen zu träumen.

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