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Agnès Varda lässt noch einmal ihre Karriere und Inspirationen Revue passieren und erlaubt dabei nicht nur intime Einblicke in ihre Kunst, sondern gibt auch eine der inspirierendsten Master Classes in der Geschichte des Films. Agnès für immer.

Varda par Agnès (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Für immer Agnès

Inspiration. Kreation. Teilen. Das sind die drei Grundprämissen der Mutter der Nouvelle Vague, Agnès Varda. Die Inspiration ist die Quelle der Kunst, das Nachdenken, die Ideen und die ersten Grundzüge ihrer Präsentation. Danach kommt die Arbeit: Die Kreation, die für Varda schnell und präzise sein muss. Hier darf man sich nicht lange aufhalten, hier muss man gut organisieren und es so gut wie möglich umsetzen. Es ist das Handwerk an sich, das Varda vor allem als Prozess beschreibt, der eben sein muss, bevor man die Kunst teilen kann.

Und teilen, das ist das Wichtigste. „Niemand macht einen Film, damit ihn keiner sieht“ erzählt sie schmunzelnd in Varda par Agnès, einem Dokumentarfilm, der sie noch einmal ins Zentrum setzt und in dem die Grande Dame etwas tut, was nur den wenigsten Künstlern zuteilwird: Sie kann ihre Kunst noch einmal Revue passieren lassen. Aber Varda par Agnès ist kein Film, in dem Varda erzählt, wie toll ihr Schaffen ist. Nein, es geht wirklich und wahrhaftig um den Gedanken des Teilens und teilen war und ist bei Varda, im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen und Nouvelle Vague-Mitstreitern ein Akt voller Offenheit und Wärme und nicht der intellektuellen Belehrung von oben. Und so schafft es die Künstlerin hier nicht nur über sich und ihre Arbeit zu sprechen, sondern eine wahrhaft kinomagische Master Class zu geben, die nicht nur fasziniert, sondern die etwas tut, was so wenige Filme jeglicher Art vermögen: Varda inspiriert ihr Publikum und versprüht nicht nur ihre eigene Cinephilie, sondern erschafft Leidenschaft in jedem einzelnen Zuschauer – sowohl im Publikum, zu dem sie im Dokumentarfilm selbst spricht (ein Teil der Master Class ist ein aufgezeichneter Talk der Künstlerin vor Zuschauern), sondern auch im Publikum des Film selbst.

Kurzum, wer die Leidenschaft spüren will, die Vardas Schaffen, aber auch das Schaffen vieler FilmkünstlerInnen vor allem der 1960er und 1970er Jahre durchdrungen hat, der schaue Varda par Agnès. Aber Vorsicht: Die Wahrscheinlichkeit, dass man danach die Kamera selbst in die Hand nehmen will, ist groß.

Unabhängig von Varda als Inspiration vermag der Film aber auch einen wundervollen und eklektischen Rückblick auf ihr Schaffen zu werfen, welches sich in drei große Themen aufspaltet: die analoge Varda (1954 — 2000), die digitale Varda (2000 — heute) und die Fotografin Varda, denn allzu oft wird vergessen, dass sie vor allem mit der Fotografie anfing und sich dort schon einen Namen gemacht hatte, bevor sie zur Mutter der Nouvelle Vague wurde. Vardas Rückblick ist nie wehmütig, nie zynisch oder bitter. Egal ob ihre großen Filmhits wie Cléo de 5 à 7 oder ihre Flops wie Les Cent et Une Nuits de Simon Cinéma — aus jedem ihrer Werke vermag sie wertvolle und oft herzliche und kluge Rückschlüsse zu ziehen, die nicht nur die Künstlerin, sondern auch die Frau hinter den Bildern erscheinen lassen.

Ausführlich berichtet sie über die Geburt ihres Sohnes und den Tod ihres Mannes Jacques Demy, dessen Sterbeprozess sie mit der Kamera begleitet und ihm mit Jacquot de Nantes ein filmisches Denkmal setzt. Ihre feministischen Arbeiten wie Jane B. par Agnès V. wiederum rekurrieren nicht nur auf ihre politische Ausrichtung, sondern auch auf ihre Wurzeln in der Fotografie und der bildenden Kunst. Der Film ist ein Denkmal, eine selbst ausgedachte Biografie zu Jane Birkins 40. Geburtstag und stellt diese, aber auch Varda selbst in den Vordergrund und erforscht das Dasein von Frauen, die per Definition ihres Alters eigentlich nicht mehr im Kino stattfinden. Hier lassen sich auch Vardas Ansätze als Visual Artist schon erkennen, die sie vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten ausgelebt hat. Zwei Arbeiten zeigen dabei deutlich ihre Liebe zu den Menschen und ihr großes Geschick, die großen Geschichten vor allem in den kleinen, die universellen Themen in den einfachen Menschen zu finden.

In Patatutopia, einer visuellen Arbeit, die aus einem Triptychon besteht, das 2003 bei der Kunstbiennale in Venedig ausgestellt wurde, zeigt Varda Kartoffeln, die in Herzform sind. Es sind Kartoffeln, die im normalem Prozess aussortiert werden und von Sammlern, die sie in ihrem Dokumentarfilm Les glaneurs et la glaneuse begleitete, eingesammelt wurden. Diese ließ Varda schrumpeln und sprießen, sterben und sich fortpflanzen. Einfache Kartoffelherzen — ein perfektes Symbol für die einfachen Leute, derer sich Varda stets verpflichtet fühlte. Eine weitere Arbeit ist Les Veuves de Noirmoutier.  Hier dokumentiert sie das Leben von 14 Witwen der Insel Noirmoutier und deren Leben nach dem Tod ihrer Partner. Auch Varda ist eine Witwe von Noirmoutier, lebte sie doch dort eine Weile mit Jacques Demy.

Doch das Aufzählen ihrer zahlreichen, stets klugen Werke vermag nicht das zu vermitteln, was die Person selbst mit sich bringt. Varda oder Agnès, die Persona oder die Person – sie beide zusammen sind mehr als ihre Einzelteile, seien es ihr persönlichen Gedanken oder Erlebnisse oder ihre Kunst.

Was Agnès Varda ist, das zeigt Varda par Agnès deutlich, ist eine Institution, eine Inspiration, ein Gefühl, dass so tief mit dem Film und den Menschen verbunden ist, dass am Ende des Filmes ganz klar wird, was für ein großes Glück wir haben, diese Frau und ihre Werke, aber vor allem ihre Gedanken Teil der Filmgeschichte nennen zu können. Und was für ein Loch wird sie reißen, wenn sie keine Filme mehr machen wird oder gar von uns geht.* Und damit ist Varda auch ein Symbol. Ein Symbol für all die anderen großen Frauen und Künstlerinnen, die die Filmgeschichte vergessen, verdrängt, ausradiert hat. Was hätten sie alles zu sagen und zu zeigen gehabt? Wo sind ihre Geschichten, ihre Kunstwerke, ihre Master Classes?

*Diese Kritik entstand vor dem Tod von Agnès Varda im März 2019. Hier findet sich unser Nachruf.

Varda par Agnès (2019)

In ihrem neuesten Dokumentarfilm beleuchtet Agnès Varda ihre eigene Arbeit als Filmemacherin und gibt Einblicke in das, was sie cine-ecrire nennt.Eine autobiografische Spurensuche zwischen der Rue Daguerre in Paris, Los Angeles und Beijing.

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