Die Strände von Agnès

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Aufzeichnungen zu Filmen und Stränden

Sie ist die Grande Dame des französischen Dokumentarfilms und feierte im letzten Jahr ihren 80. Geburtstag. Normalerweise wird man an solch einem Ehrentag mit Geschenk überhäuft, doch was ist bei der großen Filmemacherin Agnès Varda schon normal? Und so hat sie sich und ihrem Publikum zum runden Geburtstag ein Geschenk gemacht, einen wunderbaren Film über ihr Leben, ihre Filme und darüber, wie man sich erinnert – ein ebenso verschachteltes wie verschmitzt-nachdenkliches Essay über das eigene Leben und das Kino.
1954 drehte Agnès Varda ihren ersten Spielfilm mit dem Titel La pointe-courte; bis zum heutigen Tage folgten weitere 45 Werke. Viele ihre Filme sind dokumentarisch, einige wenige rein fiktiv und etliche kombinieren Fiktives mit Realem. Fast alle ihre Filme hat sie selbst produziert, um nur keine Kompromisse eingehen zu müssen. Die (künstlerische) Freiheit, die Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber – das stand immer im Mittelpunkt ihres Schaffens. Und daran hat sich, wie man auch an diesem Film sieht, im Laufe ihrer Karriere nichts geändert.

„Könnte man in die Menschen hineinblicken, fände man Landschaften. Würde man in mich hineinsehen, wären es Strände“, behauptet Agnès Varda von sich selbst. Und sind die Strände, die Ufer, die Häfen zu so etwas wie einem Leitmotiv dieses Films geworden. Zwar folgt Die Strände von Agnès lose der Chronologie des Lebens der Regisseurin, beginnend mit der Geburt in Brüssel und dem späteren Umzug ins südfranzösische Sète, wo sie lernte, die Strände zu lieben, über Paris und die ersten Filme, die Nouvelle Vague mit all ihren Experimenten, ihre Liebe zu dem 1990 verstorbenen Filmemacher Jacques Demy (Die Regenschirme von Cherbourg), dem Umzug nach Los Angeles und den vielen Begegnungen mit unzähligen anderen Weggefährten. Doch Agnès Varda hat trotz der zugrunde liegenden Chronologie keinen konventionellen Film gemacht, sondern einen Setzkasten der Erinnerung, ein Kaleidoskop, in dem Banales gleichberechtigt neben philosophischen Reflektionen steht, Erfundenes neben Gefundenem, Menschen neben Orten, Träume neben der Realität. Alles hat seinen Platz und ist doch miteinander verbunden. Wie an einem Strand werden Bruchstücke eines Lebens angeschwemmt und von der leidenschaftlichen Sammlerin Agnès Varda immer wieder neu arrangiert. Das Leben und die Liebe, das Kino und die Erinnerungen werden so zu einem sich ständig verändernden Korpus, in dem alles fließt und sich in variierenden Konstellationen immer wieder neu zusammensetzt. Und je länger man diesem milde-chaotischen Fluss zuschaut, desto mehr fühlt man, dass es vielleicht tatsächlich so ist, das Leben. Dass es keiner geradlinigen Chronologie folgt, sondern einem sich immer weiter verzweigenden chaotischen und doch harmonischen Gebilde.

Die „Großmutter der Nouvelle Vague“, wie sie oft genannt wird, ist mit zunehmendem Alter kaum konventioneller geworden. Wie eh und je mischt sie bedenkenlos das scheinbar Unpassende zusammen und formt daraus einen Film, der höchste Aufmerksamkeit verlangt. Der heiter ist, ungeheuer verspielt und – vor allem im zweiten Teil des Films – sehr nachdenklich und melancholisch.

Wer sich für den französischen Film im Allgemeinen und für Agnès Varda im Besonderen interessiert, für den ist dieser Film eine wahre Fundgrube an Bildern, Eindrücken und Gedankensplittern. Niemals bequem, aber stets voller Überraschungen. Kurzum: Ein Fest des Kinos. Und damit dem 80. Geburtstag dieser großen Regisseurin angemessen. Manchmal macht man sich eben die schönsten Geschenke selbst.

Die Strände von Agnès

Sie ist die Grande Dame des französischen Dokumentarfilms und feierte im letzten Jahr ihren 80. Geburtstag. Normalerweise wird man an solch einem Ehrentag mit Geschenk überhäuft, doch was ist bei der großen Filmemacherin Agnès Varda schon normal? Und so hat sie sich und ihrem Publikum zum runden Geburtstag ein Geschenk gemacht, einen wunderbaren Film über ihr Leben, ihre Filme und darüber, wie man sich erinnert – ein ebenso verschachteltes wie verschmitzt-nachdenkliches Essay über das eigene Leben und das Kino.
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Meinungen

u.luecking · 26.11.2009

ein wundervoller film
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