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Die Flugzeugkatastrophe von Überlingen im Jahre 2002 bildet den Hintergrund für Sarik Andreasyans Drama um einen Mann, der dabei seine gesamte Familie verlor und darüber zum Mörder wurde. Eine Geschichte von Trauer und Rache, die allerdings in viel Pathos badet.

Unforgiven (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wenn Trauer zu Rache wird …

Vitaly Kaloyev ist ein Familienmensch – und genau dieses starke Band zu seiner Frau und den beiden Kindern wird ihn zerbrechen. Der Architekt geht für einen Auftrag für ein Jahr nach Barcelona und als seine Familie ihn dort abholen will, geschieht das Unfassbare: Durch eine Umbuchung sitzen seine Frau, der Sohn und die kleine Tochter in jenem Flugzeug der Bashkirian Airlines, das am 1. Juli 2002 bei Überlingen mit einer Frachtmaschine der DHL kollidierte. Bei dem Unglück, das die Öffentlichkeit lange beschäftigte – auch wegen der Aufarbeitung und dem Racheakt Kaloyevs – starben insgesamt 71 Menschen, darunter waren 49 Kinder.

Von all dem ahnt Kaloyev anfangs noch nichts, als er mit einem Blumenstrauß an den Flughafen von Barcelona fährt, um dort seine Familie nach einem Jahr der Trennung in Empfang zu nehmen. Dem Zuschauer freilich dämmert von Beginn an (und dies selbst dann, wenn er rein gar nichts über die ganze Geschichte wüsste und die rahmenden Bilder der Katastrophe übersehen hätte), dass im Verlauf dieses Films etwas Schlimmes passieren wird.

Denn da ist diese Musik – ständig präsent, über jedem Bild liegend, immer die gesamte Breite und Tiefe eines von Streichern dominierten großen Orchesters ausnutzend, manchmal in ein tieffrequentes, brummelndes, dröhnendes Grollen abgleitend, das direkt auf den Solarplexus zielt. Und zugleich diese Bilder: Stets sorgfältigst kadriert, immer auf der Suche nach der besten Bildkomposition, von der Farbpalette her stets düsterer, grauer verwaschener werdend, der Himmel fast immer dicht bewölkt, mit dunkelgrauen Wolken, aus denen es regnet oder schneit.

Doch zurück zu Vitaly: Als dieser am Flughafen von dem Unglück erfährt, bricht er zunächst zusammen und macht sich dann auf den Weg an die Unfallstelle, wo er sich gemeinsam mit den Hilfskräften auf die Suche nach den Leichen seiner Familie macht. Und als er endlich die Überreste seiner kleinen Tochter in den Armen hält, da spürt man ganz genau, dass in diesem Mann etwas zerbricht und nie mehr heilen wird.

Die Heimkehr, die juristische Aufarbeitung, die schwierige Suche nach einem Verantwortlichen für das Unglück, das auf menschliches Versagen zurückzuführen ist – all das durchlebt und durchleidet Vitaly wie in Trance. Und selbst der Mord geschieht dem mittlerweile vollbärtigen Mann mit dem überwiegend stoischen Gesichtsausdruck eher nebenbei. Vielleicht liegt das aber wie vieles andere ja daran, dass die Gefühle hier vor allem durch die omnipräsente Musik so sehr behauptet werden, dass man selbst nicht mehr sehen kann. Erst am Ende, wenn in einem Split Screen neben den Endtiteln der echte Vitaly Kaloyev zu sehen ist, bekommt die Dringlichkeit, das Übermaß an heftigsten Gefühlen und die absolute Hoffnungslosigkeit eines Mannes, der alles verloren hat, endlich ein menschliches Antlitz und ertrinkt nicht in einem Ozean an überlebensgroßen Breitwandemotionen, die den Zuschauer förmlich bedrängen.

Unforgiven ist nicht der erste Film, der sich mit dem Flugzeugunglück von Überlingen auseinandersetzt. 2008 kam Nicolai Rohdes 10 Sekunden in die deutschen Kinos, 2017 verlegte Vendetta — Alles was ihm blieb war Rache mit Arnold Schwarzenegger das Geschehen in die USA, hinzu kommen Till Endemanns Flug in die Nacht — Das Unglück von Überlingen sowie einige Dokumentationen und das Theaterstück Menschliches Versagen von Lukas Holliger.

Vermutlich aber dürfte sich kaum eine dieser Bearbeitungen so sehr auf Pathos als vordringlichstes Stilmittel verlassen haben wie das Werk des armenisch-russisches Regisseurs, der bislang vor allem mit Komödien und Superhelden-Filmen wie Guardians auf sich aufmerksam gemacht hatte.

So löblich sein Ansinnen auch sein mag, endlich der unerzählten Geschichte Vitaly Kaloyevs die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen: die überbordende Wahl der Mittel erweist diesem Ansinnen einen zumindest zwiespältigen Dienst.

Unforgiven (2018)

Der neue Film des russischen Regiestars Sarik Andreasyan erzählt die Geschichte des Osseten Vitaliy Kaloev, der bei der Flugzeugkatastrophe von Überlingen seine Familie verliert. Der Schmerz darüber und die Ohnmacht angesichts der Abwesenheit von Empathie und Reue der Verantwortlichen führt direkt in eine zweite Katastrophe.

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Meinungen

Thomas · 24.09.2018

Sehr spannend, wann kommt der Film bei uns in die Kinos? Weiss das jemand?

Ich suche schon länger sehr verzweifelt:S

Vielen lieben Dank