Log Line

Ein Vater und sein 4-jähriger Sohn fliehen aus ihrer schwedischen Heimat, weil dort ein Konflikt ausgebrochen ist, quer durch Europa und verlieren einander aus den Augen. Ein Film mit einem hehren Anliegen, dessen erzählerische Entscheidungen aber Fragen aufwerfen.

Stell Dir vor, Du müsstest fliehen! (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Kind auf der Flucht

Krieg, Flucht und Vertreibung sind ohne jeden Zweifel die beherrschenden Themen unserer Tage. Und so ist es kein Wunder, dass diese Thematik sich auch immer häufiger im Kino wiederfindet. Während es lange Zeit vor allem Dokumentarfilme waren, die sich dieser Thematik annahmen, scheint der Topos nun auch im fiktionalen Bereich angekommen zu sein, wie Werke wie Jonas Carpignanos Mediterranea vor 3 Jahren eindrucksvoll bewies.

Der schwedische Filmemacher Jesper Ganslandt hat nun mit Was wäre, wenn wir fliehen müssten? seine Sicht der Dinge in einem Film gepackt, der gleich in doppelter Hinsicht eine Vater-Sohn-Beziehung schildert. Denn der Film erzählt nicht nur von einem Vater und seinem Sohn, die durch Europa irren, die Protagonisten werden auch von Jesper Ganslandt und seinem Sohn Hunter gespielt.

Als in Schweden ein (niemals genauer erklärter) Konflikt ausbricht und die Ehefrau und Mutter verschwindet, entschließt sich der Vater, ebenfalls sein Glück in der Flucht zu suchen. Was dann geschieht, spaltet der Filme in verschiedene, assoziativ miteinander verbundene Erzählstränge auf: Der eine fokussiert auf den Weg von Vater und Sohn, der andere spielt später, als sich die beiden bereits verloren haben und sich eine ebenfalls auf der Flucht befindliche Familie des Jungen angenommen hat. Begleitet und verbunden werden diese Erzählstränge durch einen gelegentlichen Voice-over-Kommentar des Vaters, der dem Sohn darin beispielsweise erklärt, warum er ihn mit einer Lüge mit auf den Weg genommen hat, um ihn die Strapazen überhaupt überstehen zu lassen.

Jesper Ganslandt hat ohne Zweifel einen stilistisch bemerkenswerten Film gedreht, die erzählerische Prämisse aber, die er seiner intimen Fluchtgeschichte zugrunde legt, ist durchaus ambivalent. Dabei besteht über die Zielsetzung, die dem Ganzen zugrunde liegt, kaum ein Zweifel: Durch die Verschiebung der Fluchtproblematik in unsere Region soll den Zuschauern ein Perspektivwechsel aufgezeigt werden, der verdeutlicht, wie leicht es jeden von uns treffen kann, fliehen zu müssen. Diese Idee ist für sich genommen nicht schlecht, stößt aber hier durch eine weitere Verdichtung in einen Bereich vor, der die gute Absicht gleich wieder zunichte macht. Denn Ganslandt belässt es bei seinem Film nicht bei einer Veränderung der Perspektive, sondern fügt eine zweite hinzu, indem er das Geschehen aus der Sicht eines Kindes zeigt. Indem sich der Film nun aber daran versucht, eine adäquate Bildsprache für die Perspektive des Kindes zu finden, landet er bei einem seltsam verträumt-lyrischen Tonfall, der immer wieder an die letzten Filme Terence Malicks erinnert und dem Thema nicht immer angemessen scheint. Andererseits besteht natürlich genau hierin die Intention des Regisseurs, denn wie soll ein 4-jähriges Kind verstehen, was um ihn herum geschieht, wenn es in solch eine Situation hineingeworfen wird?

Kein Zweifel: Ganslandt ist ein begabter Filmemacher, doch es stellt sich am Ende seines Films auch die Frage, ob es nicht auf andere, den Realitäten unserer Tage angemessenere Weise möglich gewesen wäre, Empathie für die Lage zu wecken, die Menschen dazu bringt, den Weg ins Ungewisse anzutreten.

Stell Dir vor, Du müsstest fliehen! (2018)

Als in ihrer Heimat ein Bürgerkrieg ausbricht, müssen ein Vater und sein vierjähriger Sohn aus Schweden fliehen. Und während der ganzen Strapazen wird der Junge vor allem von einer Hoffnung angetrieben — endlich wieder seine Mutter zu sehen, die eines Tages einfach verschwunden war. 

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen