Sein oder Nichtsein

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Noch ist Polen nicht verloren

Kaum setzt der Schauspieler Joseph Tura (Jack Benny) als Hamlet auf der Bühne mit den Worten „Sein oder Nichtsein“ zum berühmtesten Monolog aus William Shakespeares Feder an, erhebt sich der Offizier Stanislaw Sobinski (Robert Stack) aus dem Publikum und verlässt den Raum. Während der populäre Schauspieler für einen Augenblick irritiert innehält, erwartet seine Frau und Kollegin Maria (Carole Lombard) den smarten Stanislaw in ihrer Garderobe, mit dem sie sich für genau diesen Zeitpunkt heimlich verabredet hat. Doch abgesehen von Marias konspirativen kleinen Flirts mit dem einen oder anderen Fan sowie einer schalkhaften Konkurrenz um Eitelkeiten auf beruflichem Terrain ist das Ehepaar Tura innig miteinander verbunden und bildet das Zentrum eines Theaterensembles im Warschau des Jahres 1939. Studierte die Truppe auch ursprünglich ein brandaktuelles, antifaschistisches Stück ein, wurde dieses auf Grund der politischen Brisanz in Bezug auf die Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland schlichtweg vom Spielplan gestrichen und kurzerhand durch den harmlos erscheinenden Klassiker von Shakespeare ersetzt.
Im politischen Untergrund jedoch engagieren sich die Schauspieler gegen die Deutschen und verstricken sich nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in die Mission, den Spion Professor Siletzky (Stanley Ridges) außer Gefecht zu setzen, der im Begriff ist, wichtige Informationen über den polnischen Widerstands an die Gestapo zu verraten. Aus der Not heraus schlüpfen die verschwörerischen Akteure in die Rollen von Nazi-Schergen bis hin zu Adolf Hitler selbst, und es entspinnt sich ein nervenaufreibender, turbulenter sowie aberwitziger Wettlauf mit der Zeit, innerhalb dessen das über sich hinaus wachsende Ensemble sich spontan auf immer neue, gefährliche Wendungen einstellen muss …

Eine rasante, bitter-böse und gleichzeitig mit krudem Humor geladene Satire ist dem deutschen Schauspieler und Regisseur Ernst Lubitsch (1892-1947), der 1922 in die USA emigrierte, mit Sein oder Nichtsein aus dem Jahre 1942 gelungen, der auf der Komödie Noch ist Polen nicht verloren des ungarischen Dramatikers Melchior Lengyel basiert. Es ist die waghalsige, aber stimmig funktionierende Kombination aus einerseits slapstickartiger und wortwitziger Respektlosigkeit sowie andererseits angemessener, mitunter schokierend berührender Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Schrecken des Nationalsozialismus, dessen militärischer Habitus hier ganz wunderbar ad absurdum geführt wird. Auch wenn es nach wie vor so schwierig wie brisant ist, humoristisch orientierte Stoffe um diese schwerlastige Thematik zu gestalten, zeichnet sich Sein oder Nichtsein nicht zuletzt auf Grund seiner Entstehung inmitten des historischen Kontextes in ganz besonderem Maße als außergewöhnlich weitsichtiger und avantgardistischer Film aus, dessen dramaturgische Qualitäten durch eine filigrane Balance zwischen Klamauk und Kritik zu überzeugen wissen. Seinerzeit für die Beste Filmmusik von Werner Richard Heymann für einen Oscar nominiert und 1971 mit einem Sant Jordi Award posthum für Ernst Lubitsch ausgezeichnet stellt Sein oder Nichtsein eine kuriose filmische Perle dar, die von einfallsreichen Anspielungen und sich steigernden Ausweglosigkeiten lebt, die treffend eine Atmosphäre von Vorahnung und Ohnmacht symbolisieren, ohne dabei auf einen geradezu trotzigen, effektiv widerständigen Humanismus zu verzichten, der die ansprechende und berührende Qualität des Film ganz entscheidend prägt.

Sein oder Nichtsein

Kaum setzt der Schauspieler Joseph Tura (Jack Benny) als Hamlet auf der Bühne mit den Worten „Sein oder Nichtsein“ zum berühmtesten Monolog aus William Shakespeares Feder an, erhebt sich der Offizier Stanislaw Sobinski (Robert Stack) aus dem Publikum und verlässt den Raum.
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