Rumpelstilzchen & Der gestiefelte Kater

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Zwei schlichte Märchenverfilmungen nach den Gebrüdern Grimm

„Kinder brauchen Märchen“ forderte der aus Österreich stammende, US-amerikanische Kinderpsychologe Bruno Bettelheim mit seiner gleichnamigen Publikation, die 1976 im englischen Original unter dem Titel The Use of Enchantment – The Meaning and Importance of Fairy Tales erschien. Dabei bezieht sich der auch durch seine Autismus-Studien bekannt gewordene und posthum aufgrund seines als teilweise brutal beschriebenen Umgangs mit kleinen Patienten kritisierte Autor zuvorderst auf die Märchensammlungen und -erzählungen der berühmten Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm, die er im psychoanalytischen Sinne untersuchte und mit ihrer deutlichen wie drastischen Moral und ihrem meist glücklichen Ausgang als wertvolle Ressourcen für die angemessene Charakterbildung der jungen Zuhörer- und Leserschaft erachtet.
Bruno Bettelheims auch noch heute häufig zitierte Thesen heizten damals die ohnehin kontroverse Diskussion um den Wert und Sinn der nicht selten grausamen „Kinderkrimis“ in wohlklingendem Prosagewand für die Jüngsten an, die bereits von den Gebrüdern Grimm als entsprechende Erziehungsliteratur angelegt wurden. Die nichtsdestotrotz ungebrochene Popularität dieser durchwachsenen Stoffe bei Klein wie Groß hat sich längst auch das filmische Universum vor allem an der Disney-Front zu Nutze gemacht, doch auch jenseits des Zeichentricks und der animierten Bilder gab es bereits früh entsprechende Verfilmungen mit „echten Menschen“ als Darstellern, von denen der deutsche Regisseur Herbert B. Fredersdorf vor allem in den 1950er Jahren einige realisierte. Zwei seiner schlichten, unspektakulären und auf harmlose Unterhaltung zielenden Märchenfilme von 1955 erscheinen nun im Doppelpack bei Studiocanal und beschwören jene längst vergangene Nachkriegszeit herauf, die ihrem Publikum innerhalb einer heilen Natur nur allzu gern einen ebensolchen Ausgang von zwar konfliktreichen, nicht aber katastrophalen Geschichten präsentierte.

Allein der seltsame Kater Hinz (Margitta Sonke) bleibt dem Müllerssohn Heinrich (Harry Wüstenhagen) als Erbe, nachdem sein Vater verstorben ist und seine beiden älteren Brüder abgesehen von der Barschaft von dreißig Talern, die gerecht gedrittelt wurde, die Habe unter sich aufgeteilt haben. Fühlt er sich auch zunächst als nunmehr Obdachloser recht einsam und arm, entdeckt Heinrich bald, dass er mit dem Kater einen Schatz erhalten hat. Denn dieser besitzt nicht nur die Fähigkeit der menschlichen Sprache, sondern stellt sich auch noch als geschickter Glücksgestalter für ihn heraus, indem er sich ein Paar gewaltige Stiefel erbittet, in diesen zum Reich von König Wonnebald (F. W. Schröder-Schrom) und dessen Tochter Rosine (Christa Oenicke) marschiert und dort Werbung für seinen neuen Herrn macht. Doch bevor dieser sich mit der Prinzessin vermählen kann, muss zunächst noch der üble Zauberer Saufdichvoll (Helmut Ziegner) ausgeschaltet werden …

Der gestiefelte Kater in seiner simplen, geradlinigen Gestaltung und als ebensolches Gleichnis einer zunächst ungerecht erscheinenden Erbschaft, die sich durch mutige Umtriebigkeit als das ganz große Glück herausstellt, repräsentiert eher ein einfach angelegtes klassisches Märchenmuster, das zwar bereits in der ersten Auflage des Grimmschen Werkes auftauchte, doch später aufgrund seiner Ähnlichkeit zur französischen Erzählung Le Maître Chat ou le Chat botté wieder aus der Sammlung entfernt wurde. Rumpelstilzchen hingegen als sowohl hinsichtlich der Beziehungen der Charaktere untereinander als auch der psychologischen Deutungsoptionen weitaus komplexere Geschichte bietet innerhalb der schnörkellosen, mit zusätzlicher Milde entschärften Inszenierung Herbert Fredersdorfs ein wenig stärkere Reize für ein älteres Publikum. Doch beiden Märchen in ihrer reizarmen Darstellungsform und mit ihrem eingängigen Sprachduktus ist die Eignung für eine ganz junge Zuschauerschaft eigen, jenseits der modernen Kapriolen und Kaspereien einer zeitgemäßen Kinderunterhaltung.

Rumpelstilzchen & Der gestiefelte Kater

„Kinder brauchen Märchen“ forderte der aus Österreich stammende, US-amerikanische Kinderpsychologe Bruno Bettelheim mit seiner gleichnamigen Publikation, die 1976 im englischen Original unter dem Titel „The Use of Enchantment – The Meaning and Importance of Fairy Tales“ erschien.
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