Pierrot Lunaire

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wann ist Mann ein Mann?

Wenn sich Bruce LaBruce ein Werk des Komponisten Arnold Schönberg vornimmt, kommt ein Experimentalfilm heraus, der sein Publikum genauso spaltet wie einst Schönbergs Musik. Bei der Berlinale 2014 gab es für Pierrot Lunaire den Teddy Award.
Wie sich Geschichte manchmal gleicht. 1912 bat die Sängerin Albertine Zehmke den Komponisten Arnold Schönberg um die Vertonung eines Vortragstextes. Schönberg hatte freie Hand. Er wählte Albert Girauds Gedichtzyklus Pierrot Lunaire. Aus 21 der 50 Gedichte arrangierte Schönberg eine Komposition für fünf Musiker und eine Sängerin, die zu seinen innovativsten zählt. Die atonale Musik kam jedoch nicht bei allen gut an. Beinahe hundert Jahre später baten die Schauspielerin Susanne Sachsse und der Dirigent Premil Petroviç den kanadischen Regisseur, Autor und Fotografen Bruce LaBruce Pierrot Lunaire am Berliner HAU 1 auf die Bühne zu bringen. Auch LaBruce nahm sich alle Freiheiten. Aus Schönbergs Vorlage machte er einen wilden Mix aus Commedia dell’arte, Travestie und Grand Guignol; ergänzt um eine Handlung, die auf einem wahren Vorfall beruht. Wie schon 1912 rief auch LaBruce‘ Inszenierung gespaltene Reaktionen hervor. Bei zwei der Aufführungen lief die Kamera mit. Und so entstand die Idee, das bereits vorhandene Material mit weiteren Filmaufnahmen zu ergänzen.

Heraus kam Pierrot Lunaire. Darin erzählt LaBruce die Geschichte einer Frau (Susanne Sachsse), die sich unter dem Namen Pierrot als Mann ausgibt. Pierrot führt eine Beziehung mit Columbine (Paulina Bachmann). Um Columbine und deren Vater (Boris Lisowski) von seiner Männlichkeit zu überzeugen, greift Pierrot zu radikalen Mitteln. Er ermordet einen Taxifahrer und schneidet ihm die Genitalien ab, um diese Vater und Tochter als seine eigenen zu präsentieren.

Die Geschichte einer Frau im falschen Körper bringt LaBruce in kontrastreichem Schwarzweiß auf die Leinwand. Die Aufnahmen der Theaterinszenierung, die die Rahmenhandlung unterfüttern, fungieren als flimmernde Traumsequenzen, veranschaulichen Pierrots langsames Hinübergleiten in den Wahn.
Im Umgang mit dem Filmmaterial geht LaBruce spielerisch vor, verwendet Überblendungen, Mehrfachbelichtungen und Stopptricks. Auf der Tonspur machen sich neben Schönbergs Komposition elektronische Klänge breit. Atonale Musik goes Techno. Das ergibt einen Stilmix irgendwo zwischen Musikclip, Homevideo und deutschem Stummfilmexpressionismus. Für seinen radikalen Inhalt findet LaBruce teils anmutende teils drastische Bilder; schreckt auch vor expliziten Darstellungen nicht zurück. Seine Protagonistin rückt er dabei immer wieder stark geschminkt in Großaufnahmen ins grelle Licht.

Susanne Sachsse ist für diese Performance wunderbar geeignet. Es gelingt ihr, Gefühle nur durch ihre Mimik zu vermitteln, ohne dabei zu theatral zu wirken. Auch ihre Stimme überzeugt. Um Schönbergs atonalen Sprechgesang zu beherrschen, nahm sie vier Monate Unterricht.

Wer mit Schönbergs Musik wenig bis überhaupt nichts anfangen kann, dürfte seine Probleme mit Pierrot Lunaire haben. Wer Schönberg liebt, könnte sich wiederum an LaBruce‘ überladener Optik und den expliziten Darstellungen stoßen. Und wer sowohl mit atonaler Musik als auch mit Experimentalkino auf Kriegsfuß steht, für den könnte Pierrot Lunaire trotz der kurzen Laufzeit schnell zur Tortur werden. So oder so bleibt LaBruce‘ Film für sein Publikum inhaltlich wie äußerlich eine Herausforderung.

Pierrot Lunaire

Wenn sich Bruce LaBruce ein Werk des Komponisten Arnold Schönberg vornimmt, kommt ein Experimentalfilm heraus, der sein Publikum genauso spaltet wie einst Schönbergs Musik. Bei der Berlinale 2014 gab es für „Pierrot Lunaire“ den Teddy Award.
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