Edgar Reitz - Das Frühwerk

Eine Filmkritik von Stefan Otto

Heute bringt man Edgar Reitz vor allem mit Heimat in Verbindung, seinem dreiteiligen Zyklus aus dreißig überwiegend spielfilmlangen Episoden. Doch es gibt einen Edgar Reitz jenseits von Heimat, den Edgar Reitz vor Heimat nämlich, den Reitz der sechziger und der siebziger Jahre. Nicht ganz vollständig, aber allemal repräsentativ ist dieser präheimatliche Reitz nun im DVD-Set Edgar Reitz — Das Frühwerk versammelt.

Auch er, der sich so schön ER abkürzen lässt und über 50 Stunden Heimat produzierte, hat, wie es sich für einen Unterzeichner des Oberhausener Manifests gehört, mit Kurzfilmen begonnen. Sechs seiner Kurzen von 1960 bis 1979 und von zehn bis dreißig Minuten Länge sind in der Box enthalten. Darunter mit Kommunikation und Geschwindigkeit futuristische, rasante Filme, die man vom Heimat-Reitz nicht erwarten würde. Dabei zeigen sie ganz überwiegend „tote Materie“, Kräne und Linien, wie Elisabeth in Mahlzeiten sagen würde.

In seinem Spielfilmdebüt von 1967 zeigt ER wie sie (Heidi Stroh) ihre Männer verschleißt, Rolf (Georg Hauke) und Brian, der ihm nachfolgt. Cardillac (1969) ist ein interessanter Film nach der Novelle Das Fräulein von Scuderi von E. T. A. Hoffmann. Als es bei den Dreharbeiten zu Unstimmigkeiten zwischen Reitz und seinen Mitarbeitern kam, griff ER dieses Problem ganz zeittypisch auf, filmte einige der Diskussionen mit und verwendete dieses Material im Film. So diskutieren die Schauspieler ihre Rollen in Cardillac und spielen sie. Ein analytischer Film im Geist von Bert Brecht.

Sehr weit aus dem Rahmen dessen, was man aus der heutigen Perspektive von Reitz erwartet, fällt Das goldene Ding von 1971. Der Abenteuerfilm, der die Sage um die Suche nach dem Goldenen Vlies erzählt, nimmt die Altersangaben der Helden in verschiedenen Quellen wörtlich und setzt zehn- bis sechzehnjährige Jungen als Argonauten in Szene, darunter, in der Hauptrolle als Jason, Edgars Sohn Christian Reitz, der heute Kameramann ist und als Teil von Reitz & Reitz Medien mitverantwortlich für die Restaurierung der älteren Filme seines Vaters.

Mit Die Reise nach Wien (1973) kehrte ER erstmals filmisch in seine persönliche Heimat zurück. Die Komödie um zwei unverklemmte Freundinnen (Elke Sommer und Hannelore Elsner), die mitten im 2. Weltkrieg Lebenslust und Glück erleben, ihre schicken Kleider ausführen und Ritterkreuzträger kennenlernen möchten, spielt in Simmern im Hunsrück und in Wien. Die Fassung auf der DVD ist länger als die Version des Films, die man bisher zu sehen bekam.

Stunde Null (1977) wirft einen konzentrierten Blick zurück auf das „Vakuum der Geschichte“ (Thomas Koebner) nach dem Potsdamer Abkommen von 1945. Die Amerikaner sind abgezogen und die Rote Armee wird erwartet. Die Storyline des Drehbuchs von Peter Steinbach ist herausragend, die schwarz-weiße Verfilmung von Edgar Reitz leider ziemlich betulich.

Mit Der Schneider von Ulm (1978) kehrt Reitz nach Die Reise nach Wien an einen weiteren Ort seiner Biografie zurück. In Ulm gründete er 1963 mit Alexander Kluge das Institut für Filmgestaltung. In seinem aufwendigen Film, der damals in den Kinos floppte und gleichwohl als gelungen bezeichnet werden kann, erzählt ER die interessante und vielschichtige Geschichte vom Scheitern des Albrecht Ludwig Berblinger, des Schneiders von Ulm, der Anfang des 19. Jahrhunderts Fluggeräte konstruierte.

Die ganze DVD-Box bietet eine glänzende Gelegenheit, sich der Zeit vor Heimat zuzuwenden. Alle sieben DVDs enthalten jeweils ein Gespräch von Edgar Reitz und Thomas Koebner. Sieben Gespräche, die man ähnlich, aber ausführlicher in Edgar Reitz erzählt nachlesen kann. Ein Exemplar des schönen Buches der edition text + kritik liegt bei den Interviews auf DVD stets auf dem Tisch.
 

Edgar Reitz - Das Frühwerk

Heute bringt man Edgar Reitz vor allem mit Heimat in Verbindung, seinem dreiteiligen Zyklus aus dreißig überwiegend spielfilmlangen Episoden. Doch es gibt einen Edgar Reitz jenseits von Heimat, den Edgar Reitz vor Heimat nämlich, den Reitz der sechziger und der siebziger Jahre. Nicht ganz vollständig, aber allemal repräsentativ ist dieser präheimatliche Reitz nun im DVD-Set Edgar Reitz — Das Frühwerk versammelt.

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