Der Geschmack von Leben (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Fi(c)ktive Dramödie

Unglaublich. Was immer man sich ausdenkt, kann Film werden. Ist das nicht ein tröstlicher Gedanke? Die Film-Kommune von WTP International um Roland Reber lebt diesen Gedanken. Dass die Filme formal gesehen, inhaltlich gesehen erstmal Trash sind – geschenkt. Aber sie haben was. Vielleicht eine innere Freiheit: Machen. Und dann erst gucken. So auch Der Geschmack von Leben, eine Art filmgewordene Gedankencollage, zusammengebasteltes Fragment, Porno und Philosophie …

Nikki will Schwänze lutschen. Und sie bebildert ihr Leben im Internet, in einem Vlog. Sie interviewt Leute. Zwischendurch wird gesungen. Und ein Kamel steht auf einer Weide in Bayern.

Roland Reber, Kopf der Kommune, hatte mehrere Schlaganfälle (die besten Gesundheitswünsche von dieser Seite!). Und im Juni wurde beschlossen, einen Film zu drehen. Ideenfindung, Dreh, Schnitt: drei Monate. Reicht ja auch! Denn Ideen gibt es genug. Reber hat geschrieben, in seinen Schubladen liegt eine Menge Material. Er kann Dreharbeiten noch leiten, eng unterstützt von seinem Team. Und: Er kann Vorgaben machen. Erstens: Kein narrativer Film. Zweitens: Nichts erklären. Drittens: Das Leben schildern.

Die Ziele wurden erfüllt. Szene reiht sich an Szene, mit Nikki als Bindeglied. Der Anfang schon! Vor einem riesigen Ziffernblatt eine Couch, eine Kamera, ein Mann. Der redet von den Wegen, auf die einen das Leben führt. Vom Sinn, den man sucht („Wenn es das verborgene Wort gäbe, welche Lust wäre das!“). Von der Erinnerung an einen Unfall („Das Bild, das im Kopf mir rennt, wenn mich Trauer umfängt“), bei dem er einen Sterbenden beobachtet hat („Ob er lächeln würde, während er starb?“). Es ist der Duktus des schwäbisch-pietistischen Predigers, während Nikki sich auszieht und seinen Schoß beglückt. Ein Auftakt, der zeigt, wo es langgeht.

Wir kommen in den verschiedenen „Interview“-Szenen auf Zimtschnecken und die standardisierten Alltagskonventionen. Die Lächerlichkeit der Regeln, Gesetze, Verordnungen und bürokratischen Verbote wird ausgebreitet. Irgendwann baden zwei Damen nackt im Steinbruchsee, dann liegen sie in der Sonne, mit gespreizten Beinen, und loben die Bratwürste im fränkischen Hof – explizit für die Filmtage von Hof wurde der Film gedreht … Jesus hängt nackt an einem Kreuz in so einer Art Heizungskeller, der stilisiert ein Mädchenzimmer darstellen soll. „Wollen wir Doktor spielen?“, fragt sie, ein Jüngling, ihr Freund, zögert: „Nein, da fällt das Striezele ab!“ Schuld, aus Religion geboren und von der Mutter eingebläut – auch so ein Thema. Genauso wie die Liebe, die nur das Ergebnis von Lüge, Sexualität und Gewohnheit sei. Dazwischen: Sketche. Der Pimmelfürst im Wald, mit Peitsche und im Leopardenfell, der eine Jungfrau jagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort wurde geil, und es sprach: Es werde Schwanz!“ Der Traum einer Frau vom Swingerclub artet in eine Musicalnummer aus mit nackten Männern als Chor – sagenhaft choreographiert! Ein Engel singt vom Heideröslein. Zwischendurch tatsächliches Schwanzlutschen. Ein moralistisch-satirischer Monolog vor Kamera im verspiegelten Badezimmer mit empörter Inbrunst. Und immer wieder Gedichte, warum auch nicht: „Ich bin eine Schwanzlutscherin, weil ich Schwänze super find!“

Man muss natürlich wissen, auf was man sich einlässt bei einem Roland-Reber-Film. Da wird zusammengetragen, was grade so da ist, es wird philosophisch verbunden zu einem großen Paket, das man annehmen muss. Bei dem man sich vergnügen kann, wenn man sich aufs richtige Gleis setzen lässt. Und sich zwischendurch nicht intellektuell, emotional, moralisch oder cineastisch verunsichern lässt: Weil das alles im Einzelnen keine Rolle spielt; im Gesamten aber eben genau das Leben schildert, von einem etwas merkwürdigen Außenseiterstandpunkt aus. Der Geschmack von Leben ist Predigt und Kalenderspruch, Sketchparade und Videoclip, Musical und Sexfilm, und natürlich auch Lebensberatung: „Männer, trinkt mehr Ananassaft“ – sagt die Expertin für männliche Geschmäcker aller Art.
 

Der Geschmack von Leben (2017)

Unglaublich. Was immer man sich ausdenkt, kann Film werden. Ist das nicht ein tröstlicher Gedanke? Die Film-Kommune von WTP International um Roland Reber lebt diesen Gedanken. Dass die Filme formal gesehen, inhaltlich gesehen erstmal Trash sind – geschenkt. Aber sie haben was. Vielleicht eine innere Freiheit: Machen. Und dann erst gucken. So auch Der Geschmack von Leben, eine Art filmgewordene Gedankencollage, zusammengebasteltes Fragment, Porno und Philosophie …

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Meinungen

thisalikeblack@gmx.de · 25.02.2018

Also mich würde gern mal interessieren, wem der Film gefällt und warum.

chrispin / herbert · 22.02.2018

Als Kleindarsteller war ich dabei, auch bei der schönen Premierenfeier gestern.
Die "Kritik" hier fand ich wunderbar passend