Illusion

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Dem Menschsein auf der Spur

Schön, Töppers wieder zu sehen! Der kölsche Klempner war der Lichtblick im Marienhof – sein Darsteller Wolfgang Seidenberg hat jetzt mit seiner Rolle als erotomaner Pfarrer in der wtp-Produktion Illusion einen klaren Aufstieg absolviert. Denn eine wtp-Produktion ist – anders als die Vorabendsoap – nur halber Trash: Illusion hat, wie alle Roland-Reber-Filme, zumindest den Anspruch, philosophisch dem Menschsein auf den Grund zu gehen. Ein Anspruch, der offensiv verfolgt und zu weiten Teilen auch eingelöst wird. Ungeachtet der niedrigen Budgets erforschen Reber und seine Film-Familie in fantasievollen Settings die Bereiche der „conditio humanae“, da, wo es um die wahre, nackte Identität geht und um die Frage des Umgangs miteinander. Das ist plakativ, das ist provokant, und das ist weit entfernt vom Qualitätskino.
Roland Reber dreht, wenn man es wohlwollend betrachtet, unbedingte Independent-Filme. Als absoluter Autorenfilmer verweigert er sich der Filmförderung, um kompromisslos seine Vision auf die Leinwand zu bringen. Mit einem engen Team seiner Produktionsfirma hat er alles in der Hand, vom Konzept über den Dreh bis zu Marketing und Verleih. Und ist damit erfolgreich, weil er eine Nische füllt.

Eine Nische, die man missgünstig auch als bemüht philosophischen Sextrash bezeichnen kann. Nackte Frauen, philosophische Ansätze, billige Kulissen, in denen durchaus fantasievoll Stories von der Befreiung des Ich durch Überwindung des Über-Ich erzählt werden. In denen sich Harley-Rockertum mit de Sade mischt, in denen Aleister Crowley, vom Okkulten entkleidet, um die Ecke lugt, in denen die Darsteller sich tapfer schlagen, aber dennoch nicht mithalten können mit „richtigem“ Kino, mit dem, was der normale Zuschauer von einem normalen Film erwartet.

Wie gesagt: Das wäre die missgünstige Sicht. Wir aber wollen wohlwollend bleiben. Denn eins ist sicher: Filme von Roland Reber vergisst man nicht. Sie sind besonders. Man kann sie schlecht finden, man kann sich abwenden. Man bleibt aber nicht gleichgültig.

In Illusion lässt Reber das bleiben, was an vorherigen Filmen wie Die Wahrheit der Lüge oder Engel mit schmutzigen Flügeln so sehr amüsiert hat: Den innerfilmischen, deutlich ausgesprochenen und oft mit etwas allzu kindlichen Songs unterfütterten philosophischen Diskurs. Freilich: Nicht ohne die Philosophie sein zu lassen. Und nicht, ohne auf die Nacktheit des schönen Frauenkörpers zu verzichten. Und, auch das lässt er sich nicht nehmen: Nicht ohne selbst aufzutreten, auf der Harley, als Gott höchstpersönlich.

Illusion spielt auf drei ontologischen Ebenen, im Alltag, in einer Bar, die wiederum gesehen werden kann als ein Niemandsland an der Grenze zu der dritten Ebene, den inneren Visionen, die die Protagonisten in sich bergen, die ihre mehr oder weniger heimlichen Wünsche und Begierden visualilsieren. Ein Konzept, das in der Gemeinschaft des wtp-Teams entstand, an dem die Darsteller großen Anteil hatten, das durch das subtile Genie Rebers in die Filmform fand. Ein Konzept, das den gesellschaftlichen „communication breakdown“ anprangert, das das Nebeneinander der Menschen schildert und das alltägliche Unvermögen des Miteinanders.

Im Gegensatz zu „normalem“ Kino werden diese Themen freilich nicht durch den Fleischwolf des herkömmlichen Storyschemas geschickt. Im Gegenteil: Gefilmt wird ganz aus dem Bauch heraus, man kann es sich wohl als eine Art automatisches Schreiben mit dem zur Kamera gewordenen Bleistift vorstellen. Und wird so konfrontiert mit Szenen unendlicher Langeweile, in denen Partnerschaft und Sein erstarrt sind in Formen der Sprachlosigkeit. Das hat komischen Appeal, zumal die Charaktere nicht ausgeformt sind, sondern schlicht gesetzt werden. Sie müssen, wie der ganze Film, angenommen werden als das, was sie sind: Da ist ein Bayern-Fan, der nie ein Spiel besucht; ein Pfarrer, der wie Paulus von der Liebe predigt, diese aber nicht leben kann; dessen Frau, die selbst seinen Apfelkuchen verschmäht; eine junge, lebensunsichere Frau, die sich nach Aufmerksamkeit sehnt, und eine etwas Ältere, die ganz unerhörtes Begehren in sich trägt.

Wunsch und Sehnsucht, die sich in je individuellen Visionen manifestieren. Visionen, die durch den Katalysator einer unwirklichen Kneipe ausgelöst werden. Hier, in der Bar der verlorenen Seelen, sind die Figuren zusammengeführt und üben sich in Gesellschaft. Das ist natürlich alles recht billig gefilmt. Die Thematik wird immer wieder betont ostentativ verdeutlicht. Die Kneipengespräche bleiben Kneipengespräche, Smalltalk, Flirt und gelangweiltes Rumhängen an der Theke – hier steckt der Film manchmal etwas zu sehr fest zwischen dem, was er erzählen will, und dem, wie er es erzählt, weil zwar die banalen Dialoge bewusst gesetzt werden, aus ihnen heraus und über sie hinaus aber sich nur wenig ergibt. Und eine kommentierende Figur, I-Phone- und Facebookfan, wirkt etwas dazugeklatscht, ohne wirklichen Mehrwert zu bringen.

Aber die Kneipe enthält auch großartige Momente: einen Witz von zwei Ziegen, die zur Disco wollen, dargebracht von einer sich in heftigem Weinkrampf Schüttelnden; die später einen weiteren Witz erzählt, bei dem sie sich totlacht – und der jede Pointe längst verloren hat. Den Pfarrer, der Gott auf dem Bahnhofsklo das Pissoir runtergespült hat und sicher ist, dass der Allmächtige darob trauert, von verklemmten Spießern erdacht worden zu sein, wo er doch viel lieber ein Produkt arschgeiler Genießer wäre.

In dieser Bar werden die selbstbezogen-sprachlosen Figuren ihrer innersten Träume gewahr. Träume, die ebenfalls ganz große Momente sind. Wenn Gott auftaucht zu einem Biker-Abendmahl; wenn einer sich von Cheerleadern bejubeln lässt, während er inmitten von Bauschutt auf einer aufblasbaren Badeinsel liegt; wenn der Phantasie eines Massenficks mit SM-Appeal einer zärtlichen Frauenliebe-Vision gegenübergestellt wird.

Und schließlich, auch dies ein dickes Plus: Die Musik, von Schauspielerin Antje Nikola Mönning komponiert, Chansons, Songs und Klassik, in denen Schubert und Beethoven als Vorbilder für diesen groß angelegten Score dienen. Eine Musik, die passt zu einem Film, der zeigt, dass es eine Unmenge mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich die Filmschulweisheit träumen lässt.

Illusion

Schön, Töppers wieder zu sehen! Der kölsche Klempner war der Lichtblick im „Marienhof“ – sein Darsteller Wolfgang Seidenberg hat jetzt mit seiner Rolle als erotomaner Pfarrer in der wtp-Produktion „Illusion“ einen klaren Aufstieg absolviert. Denn eine wtp-Produktion ist – anders als die Vorabendsoap – nur halber Trash: „Illusion“ hat, wie alle Roland-Reber-Filme, zumindest den Anspruch, philosophisch dem Menschsein auf den Grund zu gehen. Ein Anspruch, der offensiv verfolgt und zu weiten Teilen auch eingelöst wird.
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Meinungen

Sebastian Müller · 13.03.2014

Leider wird der Film in viel zu wenigen Kopien bundesweit an den Start gebracht. In Kenntnis der bisherigen Filme von Roland Rebers fahre ich jedoch gerne und werde sogar dem Filmteam exclusiv im voigtländischen Kunsthaus Eigenregie begegnen können.

Peter Schäfer · 03.03.2014

Ein außergewöhnlich eigensinniger Film mit einigen Längen und überraschenden Bildern und absurden Dialogen.

Abgesehen von der Sängerin, die auf der Bühne in der Bar den Text eher wiederkäut als singt (sie bringt mich deutlich an die Schmerzgrenze), ist der Film eine Überraschung und sehenswert.