Der Besuch

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Mit seinem Theaterstück Der Besuch der alten Dame, das 1956 im Schauspielhaus Zürich mit der großartigen Therese Giehse (1898-1975) in der Hauptrolle uraufgeführt wurde und fortan in unterschiedlichsten Ausprägungen einen enorm erfolgreichen, weltweiten Ruhmeszug antrat, hat der schweizerische Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) ein Bravourstück von zeitloser Wirkungsmacht geschaffen. Anfang der 1960er Jahre hat das US-amerikanische Filmstudio 20th Century Fox die Verfilmung dieses fulminanten Stoffes anvisiert und engagierte als Regisseur dafür den Schweizer Bernhard Wicki, einen Freund und frühen Förderer Friedrich Dürrenmatts. Mit der vertraglichen Vollmacht ausgestattet, das ursprüngliche Drama auf Basis des Drehbuchs von Ben Barzman und Maurice Valency nach Herzenslust und natürlich im Hinblick auf ein möglichst üppiges Publikum neu auszugestalten, beriet sich Bernhard Wicki zwar damals durchaus mit Friedrich Dürrenmatt, schöpfte aber dennoch seine zugesicherte Freiheit kräftig aus.
Dass die von Dürrenmatt als „alte Dame“ charakterisierte Heldin des Stückes, Claire Zachanassian, hier mit der damals weitaus jüngeren Star-Schauspielerin Ingrid Bergman (1915-1982) besetzt wurde, führte zu einer allgemeinen „Verjüngung“ der filmischen Geschichte, die auch eine entsprechende Verkürzung des Titels zur Folge hatte. Die Figur ihres Gegenspielers Alfred III, der in der filmischen, nunmehr nicht mehr in der Schweiz, sondern auf dem Balkan verorteten Geschichte Serge Miller heißt, verkörperte kein Geringerer als Anthony Quinn (1915-2001), dem zudem ein weitaus milderes Ende zugestanden wurde als seine gnadenlose Eliminierung im Drama. Durch diese und weitere Modifizierungen entstand mit Der Besuch, der 1964 im Wettbewerb um die „Goldene Palme“ bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes seine Weltpremiere feierte, ein nicht zuletzt hinsichtlich seines prächtigen Kostümdesigns glamouröser Film à la Hollywood, der vom differenzierten, ganz hervorragenden Spiel der beiden Hauptdarsteller lebt.

Immerhin noch in akzentuiertem Schwarzweiß inszeniert, setzt Der Besuch bei aller Entfernung vom Originalwerk deutlich auf den Einsatz von spezifisch filmischen Mitteln, um den Fluss der Geschichte von seiner abstrakten theatralischen Basis in eine konkretisierte Realität von seinerzeit aktueller Ausstattung zu überführen. Allein die Fülle an Protagonisten jenseits der für die Handlung bedeutsamen Figuren führt ästhetisch und bildgewaltig fort von der kargen Strenge einer am griechischen Ideal orientierten Tragödie, wie Friedrich Dürrenmatt sie intendierte, dessen bitter-böse Kapriolen der verhärmten Claire hier durchaus einen atmosphärisch dichten Niederschlag erfahren, ohne dass sie in letzter Konsequenz verfolgt werden. Dass die moralische Wucht des Dramas durch den revolutionierten Schluss der filmischen Dramaturgie entschäft und damit auch entwertet wird, mindert dennoch nicht die insgesamt absolut sehenswerte Qualität dieses Films, der eine glättende, doch ansprechende und letztlich beinahe versöhnliche Variante des zeitlos brisanten Dürrenmatt-Themas darstellt und auf diese Weise eigentlich eine ganz andere, auf einen optimistischen Ausgang ausgerichtete Geschichte einrichtet und erzählt.

Der Besuch

Mit seinem Theaterstück „Der Besuch der alten Dame“, das 1956 im Schauspielhaus Zürich mit der großartigen Therese Giehse (1898-1975) in der Hauptrolle uraufgeführt wurde und fortan in unterschiedlichsten Ausprägungen einen enorm erfolgreichen, weltweiten Ruhmeszug antrat, hat der schweizerische Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) ein Bravourstück von zeitloser Wirkungsmacht geschaffen.
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