Das Venedig Prinzip

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Der Tod von Venedig

Das Venedig Prinzip ist die zweite Dokumentation über die Lagunenstadt, die in diesem Jahr in den deutschen Kinos anläuft. Während sich 6x Venedig von Carlo Mazzacurati, der Ende März in Deutschland startete, mit den Bewohnern und dem Alltäglichen von Venedig beschäftigt, nimmt der Film von Andreas Pichler die Auswirkungen des Tourismus auf die Stadt unter die Lupe. Und kommt dabei zu einem eindeutigen Ergebnis: Wenn nicht demnächst ein Umdenken geschieht, ist Venedig bald ein Freiluftmuseum – eben ohne Bewohner und einen eigenen Alltag.
Der Film widmet sich dem Dahinter: Dem Leben, das hinter dem Mythos, dem Traum und der Sehnsucht seiner Besucher steckt. 20 Millionen Touristen kommen pro Jahr in die Lagunenstadt, heißt es, etwa 60.000 Besucher am Tag. Venedig selbst hat 58.000 Einwohner, und es werden mit jedem Tag weniger. Dass bei diesem bizarren Verhältnis ein ‚normales‘ Leben kaum mehr möglich ist, liege auf der Hand. Das Venedig Prinzip dokumentiert eindringlich und mit den Stimmen seiner Bevölkerung, was vom einstig herrschaftlichen venezianischen Leben übrig geblieben ist: Häuser, von denen die Besitzer die Hälfte des Wohnraums an Touristen vermieten müssen, weil sie sich die horrenden Mieten nicht mehr leisten können; Dienstleister, die tagtäglich den Mythos zu bewahren suchen und doch auch bestrebt sind, den Besuchern mehr als nur das zu vermitteln; Kanäle und Gassen voller fremder Menschen, „take away-Touristen“, benennt sie ein Gondoliere, die unzählige Fotos machten, aber nicht merkten, wo sie sich im Moment aufhalten würden.

In Spielfilmen und in der Literatur ist Venedig als Handlungsort häufig ein Raum des Übergangs, wie etwa Wenn die Gondeln Trauer tragen von Nicolas Roeg aus dem Jahr 1973 oder natürlich in Thomas Manns Der Tod in Venedig, dem wohl berühmtesten Venedig-Roman. Das Venedig Prinzip zeigt nun keine Tode in Venedig, sondern den Tod von Venedig. Wie die Mauern der Stadt bröckeln, ganze Häuserreihen vom Zusammenfall bedroht sind und wie mehr und mehr Menschen aus der Stadt abwandern. Dabei lässt Das Venedig Prinzip vor allem ausgewählte Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu Wort kommen. Sie führen die Kamera durch ihr jeweiliges Venedig, nehmen sie mit in ihr Wohnzimmer, in die Gondel, auf das Motorboot oder zum nahegelegenen Obststand und erzählen mit Witz und auch immer wieder ein wenig Selbstironie aus ihrem Alltag. Und es wird – ähnlich wie im kürzlich gestarteten Italy: Love it or leave it – erörtert, warum man in Venedig bleiben sollte und warum es besser ist, lieber gleich zu gehen.

Besonders beeindruckend und nachhaltig sind die Aufnahmen, von denen eine auch das Plakat des Films ziert: Einer der großen Kreuzfahrdampfer lässt sich durch den Giudecca-Kanal ziehen, vorbei an der imposanten Santa Maria della Salute, die nun aber plötzlich lächerlich klein scheint im Vergleich zum vorbeiziehenden Riesen-Schiff. Unwirklich sieht das aus, wenn diese weißen, modernen Mega-Boote am Ufer der Stadt vorbeiziehen und wie Gulliver in Liliput wirken: zu groß, um wahr zu sein, zu mächtig, als dass es die Stadt vertragen könnte. Und in der Tat wird viel über die Luxusliner diskutiert, die sich die Strecke vorbei an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Europas inklusive Markusplatz nicht nehmen lassen wollen, um ihre Passagiere zu beeindrucken. Der Kreuzfahrttourismus ist den Venezianern ein großer Dorn im Auge, und Bürgermeister Giorgio Orsoni hat im Juli auch verkündet, dass man sich mit den Kreuzfahrtgesellschaften auf einen alternativen Fahrweg geeinigt habe. Venedig als Kreuzfahrthafen bleibt jedoch wichtig für die Reedereien, das wird durch die im Film geführten Interviews deutlich, und sie werden ihn nicht aufgeben wollen.

Das Venedig Prinzip macht radikal aufmerksam auf die Probleme, die auch schon in 6x Venedig anklingen. An mancher Stelle bezieht er allerdings fast zu euphorisch Position; gerade die schriftlichen Zwischeninformationen sind häufig unglücklich formuliert und wirken – als Meinungsmache – eher störend. Dennoch, und das ist ja das Hauptziel eines solchen Films, stimmt Das Venedig Prinzip nachdenklich und spricht auf Generelles, eben ein Prinzip an: Dass – nicht nur bei der Stadtentwicklung – häufig nur gewinnorientiert, aber zu kurz gedacht wird. Dass Städte und ganze Landschaften durch steigenden und unkontrollierten Tourismus komplett verändert und teilweise zerstört werden. Venedig als Disneyland, prophezeit ein Bewohner.

Das Venedig Prinzip

„Das Venedig Prinzip“ ist die zweite Dokumentation über die Lagunenstadt, die in diesem Jahr in den deutschen Kinos anläuft. Während sich „6x Venedig“ von Carlo Mazzacurati, der Ende März in Deutschland startete, mit den Bewohnern und dem Alltäglichen von Venedig beschäftigt, nimmt der Film von Andreas Pichler die Auswirkungen des Tourismus auf die Stadt unter die Lupe.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Theresia · 11.12.2012

Ich habe den Film gestern im Cinema in Bremen gesehen.Die Bilder fangen nur teilweise das Besondere an dieser Stadt ein, das sind für mich die unvergleichliche Anmut und das sagenhafte Licht.Das Italienisch der Interwiewpartner ist gut verständlich. Nicht verständlich fand ich den Auftritt des Herrn, der Gratisfahrten nach Murano anbietet.
Das Thema des Films ist mir bekannt. Mir scheint die Position des Films etwas einseitig. Mir fehlen Interwiews mit Verantwortlichen der Stadt Venedig.Mir fehlt die Position des Bürgermeisters, der Provinz Venedigs, etc. Was sagt die Politik?