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Auf den Dokumentarfilm „Human“, in dem 2000 Menschen aus 60 Ländern von ihrem Leben erzählten, folgt nun „Woman“. Der Titel ist Programm und der Film auch für Männer Pflicht.

Woman (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Gesichter der Weiblichkeit

Wem das Plakat zu diesem Film bekannt vorkommt, erinnert sich womöglich an das Plakat eines anderen Films desselben Regisseurs. In „Human“ (2015) bat Yann Arthus-Bertrand die Menschheit vor seine Kamera. In seinem neuen Dokumentarfilm, den er gemeinsam mit Co-Regisseurin Anastasia Mikova verwirklicht hat, kommen nun ausschließlich Frauen zu Wort. Die Collage auf dem Filmplakat, die zwei Gesichter zu einem zusammenfügt, verweist auch dieses Mal auf die Universalität der Aussagen. 

Das Plakatmotiv ist nicht die einzige Parallele. Wer Human gesehen hat, wird viel davon in Woman wiedererkennen: die Interviews vor einem schlichten, schwarzen Hintergrund und in einer Einstellungsgröße gefilmt, die den Interviewten nur bis zu den Schultern reicht; der Verzicht auf einen Kommentar und auf die Nennung von Namen; die von der Musik getragenen Zwischensequenzen, die Frauen in Alltagssituationen zeigen. All das wirkt wie eine Kopie oder besser gesagt: wie eine Fortsetzung. Für Anastasia Mikova, die bei Human als Regieassistentin tätig war, und Yann Arthus-Bertrand war es der nächste logische Schritt. 

„Manche Projekte kommen einfach auf einen zu“, heißt es in einem Regie-Statement zum Film. Von den für Human gesammelten Aussagen vieler Frauen seien sie so tief bewegt gewesen, dass sich Mikova und Arthus-Bertrand dazu entschlossen, in ihrem nächsten Film ausschließlich diesen zuzuhören. Dafür haben sie 2000 Frauen in 50 Ländern interviewt. Herausgekommen ist eine ebenso bunte wie bewegende Collage. 

Es geht ums Frausein, um Weiblichkeit und Schönheitsideale, um Bildung, Beruf und Karriere, um Liebe, Ehe und Sex, um Mutterschaft und die bewusste Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, aber auch um das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, und um Gewalt, physische, psychische und sexuelle.

Woman ist aber kein Betroffenheitskino, ganz im Gegenteil. Über Benachteiligungen und traumatische Erlebnisse zu sprechen, ist befreiend – nicht nur für die Interviewten, sondern auch für das Publikum. Viele der Frauen wollen all das nicht länger hinnehmen. Bereits das Reden darüber wird zu einem Teil der Selbstermächtigung. Und es ist Teil einer kritischen Selbstbefragung. Ein Nachdenken über sich und die Welt, über das Verhältnis von Frauen und Männern, über die Ansprüche und Vorstellungen, die von außen an Frauen herangetragen werden, und über diejenigen, die Frauen an sich selbst stellen und von sich selbst haben. 

Arthus-Bertrand kam spät zum Film. Der 1946 geborene Franzose startete seine Karriere als Fotograf. Normalerweise betrachtet er die Welt aus sicherer Distanz, gern aus der Vogelperspektive. In Human traute er sich zur Abwechslung ganz nah an seinen Untersuchungsgegenstand heran. Die aus seinem Werk gewohnten majestätischen Aufnahmen der Erde dienten nur noch der Gliederung, als visuell überwältigende Verbindungsstücke zwischen thematischen Blöcken. In Woman sind diese Bindeglieder nun noch einmal weiter reduziert, was dem Film gut tut, weil es den Blick auf die interviewten Frauen nicht verstellt.

Wie schon beim Versuch, der Menschheit mithilfe der Filmkamera ein Gesicht zu geben, mag auch dieser Film manchen Zusehenden zu wenig Neues bieten, anderen zu pathetisch oder gar zu belanglos erscheinen. In einer Welt, die von Gleichberechtigung und Chancengleichheit weit entfernt ist, ist dieser Film aber unbedingt von Belang. Vor allem deshalb, weil er zuhört und ganz genau hinsieht, wo die Gesellschaft zu oft wegschaut.

Auf dem Plakat versteckt sich noch ein weiterer Hinweis auf den Inhalt des Films: Entlang der Trennlinie der zwei Gesichter ist im Buchstaben „a“ auch der Buchstabe „e“ enthalten. Es geht nicht nur um die Frau („woman“), sondern auch um die Gesamtheit der Frauen („women“). Und in den Erfahrungen jeder einzelnen Frau spiegeln sich die Erfahrungen aller Frauen et vice versa. Egal ob reich oder arm, Schwarz oder Weiß, jung oder alt, vom Land oder aus der Stadt: Die Geschichten gleichen sich. Zeit, ihnen nicht nur zuzuhören, sondern an den Verhältnissen etwas zu ändern.

Woman (2019)

In „Woman“ erzählen Frauen ihre rührenden, bemerkenswerten und anregenden Geschichten, sprechen von Mutterschaft, Bildung, Sexualität, Ehe oder finanzieller Unabhängigkeit, und über tabuisierte Themen wie Menstruation und häuslicher Gewalt. Hunderte Geschichten kommen so zusammen, von Staatschefinnen und Bäuerinnen, von Schönheitsköniginnen und Busfahrerinnen, Geschichten von Frauen aus den abgeschiedensten Regionen der Welt und aus den modernsten Metropolen.

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