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Der gesellschaftliche Wandel Tunesiens macht sich auch in den ländlichen Gebieten bemerkbar. Junge Frauen nehmen sich die Freiheit, zwischen Flirts, erster Beziehung und Eheversprechen zu unterscheiden. Die Gespräche bei der Obsternte muten in diesem sommerlichen Spielfilm leichter an, als sie sind. 

Under the Fig Trees (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Flirten in der tunesischen Provinz

Im Morgengrauen versammeln sich auf dem tunesischen Land Erntehelferinnen und -helfer am Straßenrand. Ein Lastwagen holt sie ab und fährt sie weit hinaus zu einer Feigenbaumplantage hinter den Feldern. Sie werden den ganzen Tag Feigen pflücken. Es passiert also nichts Weltbewegendes im Laufe dieser sommerlichen Stunden unter dem Dach der Blätter. Und doch spielen sich in den Gesprächen kleine und größere Dramen ab, kommen Liebesgeschichten in Fahrt und finden falsche Hoffnungen ihr Ende.

Das Spielfilmdebüt der tunesischen Regisseurin Erige Sehiri ist von einer flirrenden, impressionistischen Sinnlichkeit erfüllt. Die Kamera gesellt sich nahe zu den oft in Zweiergruppen an einem Baum beschäftigten Menschen. Die junge Melek (Feten Fdhili) gesteht Abdou (Abdelhak Mrabti), den sie hier zufällig nach seinem Umzug in die Stadt wiedertrifft, dass sie auch nach fünf Jahren nicht über ihn hinweggekommen sei. Ihre ältere Schwester Fide (Fide Fdhili) trägt das Kopftuch lockerer als die meisten anderen und sticht mit ihren emanzipierten, freizügigen Ansichten aus der Gruppe heraus. Ihr Gegenpol ist Sana (Ameni Fdhili), die schon weiß, dass sie Firas (Firas Amri) heiraten will. Aber erst möchte sie ihn sich zum verlässlicheren Mann erziehen. Firas wiederum offenbart im Gespräch mit dem Pächter und Arbeitgeber, wie schlimm er es finde, dass Frauen hier auf dem Land sofort an Beziehung denken, wenn er sie nur anschaue. Aus den Blicken vor allem der jungen Frauen, aber auch einiger Männer leuchtet die spritzige, leicht verschämte Lust am Flirten. 

Im milden Licht unter dem Blätterdach entsteht eine intime, gelöste Atmosphäre von großer Leichtigkeit. Diese Sinnlichkeit erinnert an Gemälde von Auguste Renoir und August Macke. Die Gespräche plätschern wie beiläufig dahin, mäandern zwischen Hoffnung, Zuversicht und Streit. Immer wieder entsteht ein Gefühl von Solidarität in diesem Austausch. Sehiri, die bisher Dokumentarfilme drehte (Railway Men), legt auch bei dieser fiktionalen Geschichte Wert auf große Authentizität. Das schauspielerische Ensemble besteht aus echten Erntehelfer*innen. Sehiri wollte nach eigener Aussage diesen Landarbeiter*innen eine Stimme geben, und so wird der sommerliche Spielfilm auch zur Hommage an die Landbevölkerung, besonders an die Generation der jungen Frauen. Sie repräsentieren den gesellschaftlichen Wandel in diesem Land, in dem der Arabische Frühling seinen Anfang nahm und das sich ein gutes Stück weit demokratisch entwickelt hat. 

Sollen junge Frauen früh heiraten oder weiter zur Schule gehen? Dürfen sie sich verlieben, ohne sofort an Heirat zu denken? Bei der Mittagsrast sitzen die jungen Leute zusammen, die älteren Frauen ruhen sich etwas abseits von ihnen aus. Später, als die junge Melek die Gruppe zum Pinkeln verlässt, folgt ihr der Arbeitgeber und bedrängt sie sexuell. Melek wehrt sich entschieden. Die Machtposition dieses Mannes ist längst nicht mehr so groß, wie er glaubt. Beim Tee wiederum sind die Generationen vereint, und die ältere Pflückerin Leila erzählt, dass sie nicht die große Liebe ihres Lebens heiraten konnte. Ihr Ehemann wurde ein anderer. Sie stimmt ein trauriges Lied an und wird von ihrem Schmerz überwältigt. Am Ende des Tages ist das Selbstbewusstsein der Frauen damit noch gewachsen. Auch die schwesterliche Solidarität hat mehreren von ihnen geholfen, ihre Möglichkeiten klarer zu erkennen. Auf dem Heimweg im offenen Lastwagen ist es nun für die jungen Frauen an der Zeit, zu singen. Die älteren hören ihrem Ausdruck purer Lebensfreude wehmütig und staunend zu.

Under the Fig Trees (2021)

Ein Sommertag in Tunesien: Die Männer und Frauen kommen zusammen, um wie jeden Tag Feigen zu pflücken, sich auszutauschen und über alles zu reden, was sie gerade beschäftigt. Da wird getuschelt und geträumt, Beziehungen stehen ebenso auf dem Themenplan wie die Rolle der Frau in einer sich wandelnden Gesellschaft.  

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