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Wer Klassik liebt, liegt bei diesem Film richtig. Iva Švarcová und Malte Ludin blicken in ihrem Dokumentarfilm hinter die Kulissen eines der besten Orchester der Welt.

Tonsüchtig (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wiener Klang und erste Geigen

Was macht ein gutes Orchester aus? Ein perfekter Klang oder ein Ausdruck, der beim Zuhören etwas in einem auslöst? Um diese Frage kreisen nicht nur die Probespiele der Wiener Symphoniker, sondern Iva Švarcovás und Malte Ludins Dokumentarfilm an sich. Ihr Blick hinter die Kulissen des weltberühmten Sinfonieorchesters ist auch ein Blick in die Privatleben der Musiker*innen. Und auch hier konfligieren mitunter Perfektion und Emotion.

Dass ein Orchester ein im wahrsten Sinne vielstimmiger Organismus ist, führt bereits der Einstieg dieses Films vor Augen. Eine kleine Montagesequenz stellt Orchesterproben unter der Leitung einer Dirigentin und dreier Dirigenten nebeneinander. Deren Führungsstile sind ganz verschieden. Während die einen klare Vorstellungen haben, wie das Orchester von vornherein klingen soll, treten die anderen in einen Dialog und entwickeln den endgültigen Klang erst während des Probenprozesses. Tonangebend ist der Konzertmeister Florian Zwiauer, der ebenfalls im wahrsten Wortsinn die erste Geige spielt.

Auf den ersten Blick wirkt Zwiauer unscheinbar, und ist doch eine Erscheinung. Selbstbewusst, aber nie arrogant. Fordernd, dabei aber stets mehr lobend als tadelnd. Gebildet und distinguiert. Seine Rolle als Vermittler zwischen dem Dirigenten und dem Orchester bezeichnet er an einer Stelle als „Wunderwuzzi“, weil beide Seiten schier Unmögliches von einem erwarten würden. Nach 30 Jahren tritt Zwiauer diese innig geliebte Position nun ab. Den erzählerischen roten Faden des Dokumentarfilms bildet die Suche nach seinem Nachfolger, der am Ende eine Nachfolgerin wird: Sophie Heinrich, die bereits Konzertmeisterin der Komischen Oper Berlin ist und trotzdem bei den anonym durchgeführten Probespielen in Wien teilnimmt.

Dazwischen lässt das Regieduo das Ensemble zu Wort kommen. In Einzel- oder Doppelinterviews verraten sie, was ihrer Meinung nach einen guten Dirigenten, eine gute Musikerin und den „Wiener Klang“ ausmacht. Nicht alle sind davon überzeugt, dass es Letztgenannten überhaupt gibt, geschweige denn dass ihn nur die Wiener Symphoniker beherrschen würden. Chefdirigent Philippe Jordan beschreibt ihn so: „Der Wiener Klang ist was unglaublich Sinnliches und hat ein bisschen etwas Leichtes, im Gegensatz zu einem tieferen deutschen Klang; etwas Helleres und natürlich durch das Spiel der Streicher etwas Süßliches.“

Der Untertitel dieses Films verspricht „Die Wiener Symphoniker von innen“. Dafür begeben sich Švarcová und Ludin auch nach draußen. Sie verlassen den Konzertsaal, die Proberäume, Garderoben und Gänge und besuchen die Musiker*innen beim Üben und beim Abschalten. Die dort gesammelten Eindrücke haben sie in narrativen Paaren angeordnet. Der eine sucht die Ruhe in den Bergen, die andere im Umgang mit Pferden. Ein Cellist ist mit seinem Instrument verheiratet, weshalb der Haussegen schief hängt. Ein anderes Paar hat sich über das Orchester gefunden und sitzt an ihren Cellos nun nebeneinander. 

Tonsüchtig stellt ein Orchester vor, dessen Mitglieder aus aller Herren Länder stammen und ganz unterschiedliche Kindheiten durchlebt und musikalische Mittel mit auf den Weg bekommen haben. Bei allen Höhepunkten spart der Film die Tiefschläge nicht aus. Auch der Leistungsdruck und die Versagensängste sind ein Thema. Für einen Hornisten etwa war der Druck irgendwann zu groß, sein Spiel zu fehlerbehaftet. Inzwischen ist er Orchesterwart. Die Wiener Symphoniker, die in diesem Film wie eine kleine Familie daherkommen, haben ihn aufgefangen.

Für Fans klassischer Musik lohnt sich derzeit übrigens noch ein weiterer Film, Lillian Rosas und Marcus Richardts Das Haus der guten Geister, der die Stuttgarter Oper in den Blick nimmt. Zwei Filme, eine Mission: die Leidenschaft für die Musik und die harte Arbeit dahinter zu vermitteln.

Tonsüchtig (2020)

In „Tonsüchtig“ erleben wir, wie sich die Hüter des weltberühmten „Wiener Klangs“ zum ersten Mal auf der „Freudschen Couch“ ausbreiten. Eine seltene Innenaufnahme eines der bedeutendsten Orchester der Welt.

Wir tauchen ein in eine Welt der gnadenlosen Disziplin, die nach ständiger Höchstleistung verlangt und keinen Fehler verzeiht. Dies hinterlässt auch Spuren im Privatleben. So erleben wir eine familiäre Situation, in der die Ehefrau ihrem Mann die entscheidende Frage stellt, mit wem er wirklich verheiratet ist: Mit ihr oder seinem Instrument? (Quelle: Rise and Shine Cinema)

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