The Kid (1921)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Mittwoch, 27. Januar 2010, ARTE, 15:55 Uhr

Dieser legendäre Stummfilm aus dem Jahre 1921 unter der Regie und Mitwirkung des großartigen britischen Komikers und Filmschaffenden Charlie Chaplin (1889-1977) zählt zweifellos zu den bewegendsten Werken der Filmgeschichte. Stellt der Film um das Schicksal eines aus Armutsgründen ausgesetzten Kindes an sich bereits einen klassischen, spannenden Stoff dar, bezaubert The Kid durch das ebenso dynamische wie kunstvolle Spiel seiner Akteure, allen voran der kleine Jack Coogan als grandioses Kindertalent. Hier wird der Körper mit all seinen Fähigkeiten des Ausdrucks zu einem filigranen Instrument der Darstellung von differenzierten wie präzisen Zusammenhängen und Stimmungen, dass es eine wahre Freude ist.

Das hilflose und offensichtlich verlassene Baby, das ein fintenreicher Herumtreiber (Charles Chaplin) bei seinem Morgenspaziergang auf der Suche nach brauchbaren Dingen in den Slums von London findet, entwickelt sich nach dessen anfänglichen Bemühungen, das Kind anderweitig „unterzubringen“, rasch zum größten Schatz in seinem Leben. Liebevoll kümmert sich der arme Kleinganove um das kleine Wesen, nimmt es als seinen Sohn an und nennt es John. Als das Kind fünf Jahre alt ist, haben sich die beiden zu einem eingespielten Gespann entwickelt und halten sich mit kleinen Gaunereien über Wasser. Doch die Mutter des Jungen (Edna Purviance), die das Baby einst aus mittelloser Verzweiflung aussetzte und mittlerweile zu einer angesehenen Schauspielerin aufgestiegen ist, will ihren Sohn zurück, als ihr eines Tages der Zufall die Identität des Kindes in die Hände spielt …

Begleitet von lebhafter, atmosphärischer Filmmusik, die eigens für The Kid komponiert wurde, entfaltet sich die rasante Dramaturgie dieser pantomimisch wunderbar sowie bemerkenswert feinfühlig inszenierten Geschichte an pfiffigen Slapstick-Szenarien entlang, deren Essenz mittlerweile längst Kultstatus erreicht hat – wie der Polizist (Tom Wilson), der die Protagonisten zunächst unbemerkt beobachtet und sie in die Harmlosigkeit in Person verwandelt, sobald seine Anwesenheit in ihr Bewusstsein dringt, oder die Gaunerei mit dem Fensterglasverkäufer, der just in dem Augenblick auftaucht, als gerade eine Scheibe eingeworfen wurde.

Doch dieses frühe filmische Glanzlicht Charlie Chaplins transportiert mit seiner aufmerksamen, häufig geradezu sarkastisch anmutenden Kritik an den erbärmlichen sozialen Verhältnissen der damaligen Zeit durchaus auch ernsthafte Aspekte, die sich häufig in den lakonischen wie prägnanten Zwischentiteln widerspiegeln. So heißt es anfangs über die junge Frau, die das Krankenhaus mit einem Bündel Mensch im Arm verlässt und später ihr Baby aussetzt: „The woman – whose sin was motherhood.“

Es sind die armen, wachen und tapferen Figuren, die hier wie in vielen anderen Filmen des brititschen Komikers mit ihrer nicht selten zugleich aufrichtigen und verschlagenen Haltung die Herzen des Publikums erobern. Lautet das Vorwort von The Kid auch „A picture with a smile – and perhaps, a tear“, so erweist sich diese knappe Einleitung im Verlauf des Films als charmantes Understatement. Das Lächeln wächst sich bei Zeiten zu einem ausführlichen Lachen aus, und die ursprünglich eine Träne kann durchaus schon mal ein Bächlein bilden.
 

The Kid (1921)

Dieser legendäre Stummfilm aus dem Jahre 1921 unter der Regie und Mitwirkung des großartigen britischen Komikers und Filmschaffenden Charlie Chaplin (1889-1977) zählt zweifellos zu den bewegendsten Werken der Filmgeschichte.

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