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In seinem musikalischen Essay „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?“ entwickelt Mohammad Shawky Hassan eine queere arabische Form des Erzählens.

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Willkommen im Club Sheherazad!

Der Titel „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?“ stammt aus William Shakespeares 18. Sonett, veröffentlicht im Jahre 1609. Dieser Bezug lässt bereits erahnen, worum es im Langfilmdebüt des in Berlin lebenden, ägyptischen Filmemachers und Videokünstlers Mohammad Shawky Hassan geht: um die Liebe und um kulturelle Bezüge. Dies jedoch aus einer Perspektive, die im Kino bisher, milde ausgedrückt, unterrepräsentiert blieb.

Es geht um die Erfahrungen queerer arabischer Männer. Nicht als (re-)traumatisierende Opfer-Geschichte, nicht als Drama über unterdrückte Begierden und verbotene Liebe, sondern als buntes Musical, als kinematografischer Essay, der sich aus Liedern, Gedichten, Gedanken und Animationen zusammensetzt.

„Es war einmal …“ – auf diesem Wege fangen bis heute natürlich sehr viele Erzählungen über Menschen, die sich verlieben, an. So hat der Weltliteraturklassiker Tausendundeine Nacht auch die Popkultur der westlichen Welt ganz offenkundig geprägt, sei es in Form von romantischen Zeichentrick-Abenteuern oder von radiotauglichen Schmacht-Songs. Aber welche Spuren hat er beim arabischen Publikum hinterlassen? Und ist eine queere Interpretation dieses alten, fraglos extrem heteronormativen Werks überhaupt möglich?

Hassans Film beweist: Ja, sie ist möglich! Die Art und Weise, wie der Regisseur arabische Volkssagen mit modernen Elementen, wie sie in ägyptischen Musiktheaterstücken, Fernsehserien oder Musikvideos zu finden sind, zusammenbringt, sorgt für einen absolut stimmigen multimedialen Mix – für einen Film mit queerem Inhalt und auch queerer Ästhetik, wie Hassan in seinem Director’s Statement selbst herausstellt. Das Ergebnis ist ein kleines audiovisuelles Wunder voller origineller Ideen.

Unverkennbar ist Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? ein sehr persönlicher Film, basierend auf einem „eigenen Liebestagebuch“, wie es heißt – und doch erfasst er auch das kollektive Gefühl einer Community. Hassan zeigt seine Figuren in einem Green-Screen-Studio, das sich in diverse Räume verwandeln kann, unter anderem in ein Schlafzimmer, in einen Club und in ein Strandidyll – stets in queere Safe Spaces, in denen die Männer ihre Erlebnisse sowie ihre Hoffnungen und Träume ohne Furcht und ohne Hemmungen schildern können. So werden polyamouröse Experimente besungen, Grindr-Dates in Erinnerung gerufen und schmerzvolle Momente geteilt. Das ist spezifisch und zugleich universell – etwa wenn von der Ungewissheit in Beziehungen, von Eifersucht (und vom inneren Kampf dagegen) oder von Trennungen die Rede ist.

Die Erzählerin des Ganzen, verkörpert von der ägyptischen Schauspielerin und Sängerin Donia Massoud, ist der Figur der Scheherazade nachempfunden. Sie verweist auf die lange Historie des arabischen Geschichtenerzählens und steht für die Tradition, aber auch für den popkulturellen Umgang mit dieser. Der Film reproduziert die alten Muster nicht einfach oder feiert sie nostalgisch ab, sondern macht sie sich selbstbewusst zu eigen und entwickelt daraus eine Alternative, in der nichts verdrängt, sondern alles ausgelebt werden kann. Das ist ein spannender, innovativer und mutiger Ansatz, der in eindrückliche Bilder und Klänge übersetzt wird.

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? (2022)

Die Liebesgeschichte beginnt, wie tausendundeine Liebegeschichten vor ihr begonnen haben: „Es war einmal …“ Eine Erzählerin berichtet von der Beziehung zweier Männer. Ein polyamouröser Chor von früheren Liebhabern setzt ein. Im Club Sheherazad kommen und gehen die Figuren. Es geht um Grindr-Dates, Herzschmerz, Liebe zu dritt. Und was ist mit einem Happy End? (Quelle: Verleih)

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