Log Line

Moria ist vor allem bekannt für das Flüchtlingslager, das dort auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle aus dem Mittleren Osten eingerichtet wurde. Die litauische Regisseurin Lina Lužytė findet eine besondere Perspektive in sein Inneres.

Picknick in Moria - Blue Red Deport (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Leid und Freude

Auf Gummibooten nähern sich mehrere Menschen verschiedenen Alters der Küste. Dort stehen andere, die sie in gebrochenem Englisch anschreien. Es sind keine Willkommensgrüße. So beginnt der Film von Lina Lužytė und schlägt einem mit Brutalität entgegen. Diese Schärfe nimmt im weiteren Verlauf ab, auch wenn die beschriebene Situation alles andere als einfach ist. Der Film findet nämlich trotzdem zu einer eher optimistischen Stimmung. 

Auf Lesbos sind viele Menschen gestrandet, und im Lager von Moria leben aktuell 13.000 von ihnen, auch wenn es für maximal 2500 eingerichtet wurde. Für die meisten ist es zur Sackgasse geworden auf dem Weg nach Europa und in eine lebenswerte, partizipative Gesellschaft. Moria ist schon öfters Gegenstand der Berichterstattung gewesen — meist mit dem Ziel, seine Schattenseiten aufzuzeigen, anzuprangern. Auch in diesem Film treten diese offen zutage, aber der Schwerpunkt liegt auf einer emanzipativeren Sichtweise.

Die Kamera über der Schulter, beobachtet Lužytė in Picknick in Moria eine Gruppe, die sich an einem Filmprojekt beteiligt. Im Mittelpunkt steht Talibshah Hosini. Der afghanische Künstler und Schauspieler ist mit seiner Familie aus seinem Heimatland geflohen, als die Taliban an die Macht kamen. Hosini hat sich insbesondere mit einer Karikatur der Taliban unbeliebt gemacht. Der Schönheitssalon seiner Frau hatte für die Islamisten auch keine Daseinsberechtigung. Mit seinen Töchtern lebt das Ehepaar nun in Moria in einem Zelt, die Gemeinschaftsdusche sozusagen im Hof. 

Hosini ist auch Teil des Kollektivs, das an einem Filmprojekt mit dem Titel „Picknick in Moria“ arbeitet. Ein Regisseur unter ihnen hat bereits eine Komödie inszeniert, jetzt laufen die Vorbereitungen für dieses Drama um eine Flüchtlingsfamilie. Faszinierend ist die Ernsthaftigkeit, mit der sich alle am Projekt beteiligen. Ganz offensichtlich erlaubt diese Arbeit, Sorgen und Ängste zu kanalisieren. Gleichzeitig sehen die Betroffenen darin auch die Gelegenheit, über ihre Situation informieren zu können. Sie hegen den Wunsch, dass ihr Film die Politik europäischer Länder und die UN erreicht. 

Der Dokumentarfilm von Lužytė ist selbst ein Zeugnis dieser Situation in Moria, ohne anklagend zu sein. Er gibt seinen Protagonisten den größtmöglichen Raum. Die Autorin nimmt sich weitgehend zurück. Sie sucht nicht die Sensation und die reißerische Wendung, sondern verschreibt sich der unaufgeregten, aber dennoch empathischen Dokumentation. Die Form folgt hier der Funktion. Die Kameraarbeit hat Lužytė selbst übernommen, mit der Unterstützung eines zweiten Kameramannes: Mark Hammond. 

Beide fangen eine Reihe von eindrücklichen Bildern ein, die ohne große Bearbeitung aussagekräftig sind, aber eben erstmal gefunden werden mussten. Dabei mischt Picknick in Moria einen Blick auf das Elend mit anrührenden und leicht humorvollen Szenen. So sieht man recht am Anfang eine Szene des geplanten Dramas, in der ein Mann Verzweiflung vorspielen muss. Durch die Wiederholung und den Fiktionsbruch überrascht man sich als Zuschauer beim Schmunzeln. 

Dieser Film im Film ist kein neues Erzählmotiv, bringt aber hier eine willkommene zusätzliche Ebene ein. Sie zeigt unter anderem auch, wie wichtig das Medium selbst ist und wie es Nähe und Zusammenhalt fördern kann. Man sieht ebenso, wie wenig Mittel dafür nötig sind, das eigene Projekt umzusetzen. Die Filmarbeiten bieten außerdem einen geeigneten erzählerischen Rahmen für den übergeordneten Film. Dadurch bekommt Picknick in Moria eine zeitliche Einheitlichkeit, die einen interessanten Bezug auf den Begriff Zeit erlaubt.

Picknick in Moria - Blue Red Deport (2022)

Mit der Kamera gegen die Hoffnungslosigkeit: Die Dokumentarfilmerin Lina Lužyte folgt dem afghanischen Künstler Talib Shah Hosini, der mit Familie im griechischen Lager Moria feststeckt. Dort schreibt, produziert und dreht er mit anderen Asylsuchenden einen Spielfilm über eine geflüchtete Familie. Der Dreh ist erwartungsgemäß turbulent, und von draußen bedrohen Brandstifter das Lager. Aber bei aller harschen Kritik an der europäischen Asylpolitik ist dies auch eine Geschichte über Triumph und Erlösung. (Quelle: farbfilm verleih GmbH)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen