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 Mit „Pearl“ fügt Ti West seinem Retro-Slasher „X“ eine Vorgeschichte hinzu, in der erneut Mia Goth in dunklem Glanz leuchtet.

Pearl (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Drama, Baby, Drama!

X“ (2022) von Ti West war „ein ziemlich abgefuckter Horrorfilm“. So jedenfalls lautete die Selbstbezeichnung, die sich das Werk in einem finalen Meta-Move gab. Erzählt wurde von einer Gruppe junger Leute, die auf einer abgelegenen Farm Ende der 1970er Jahre einen ambitionierten Porno drehen wollte, dann jedoch zum Opfer eines mörderischen alten Ehepaars wurde. Als Backwoods-Film mit Slasher-Dramaturgie stand „X“ in der Tradition von Tobe Hoopers „The Texas Chain Saw Massacre“ (1974). Hinter all dem Blut und Schrecken schimmerte indes bereits ein tieftrauriges Melodram durch, eine Geschichte über unerfülltes Begehren und über einen Konflikt der Generationen, der auf die denkbar rabiateste Weise ausgetragen wurde.

Nun folgt das Prequel Pearl, das sich mit der Vergangenheit der mordenden alten Frau befasst: die Origin-Story einer Psychopathin – abermals in der Provinz, die hier im Jahre 1918, sechs Dekaden vor den Geschehnissen in X, in einem heimtückischen Technicolor-Glanz erstrahlt. Während sich der Vorgänger auf grimmige Genrebeiträge wie Alfred Hitchcocks Psycho (1960) und Wes Cravens The Hills Have Eyes (1977) bezog, ruft West diesmal Erinnerungen an Victor Flemings buntes MGM-Musical Der Zauberer von Oz (1939) und an die gefühlsbetont-exaltierten Werke von Douglas Sirk hervor. Die titelgebende Protagonistin lebt in einer Welt, in der alles künstlich und überhöht erscheint – und in der sich die Abgründe dadurch als umso gefährlicher, schmerzhafter und verstörender erweisen.

In X verkörperte Mia Goth eine Doppelrolle: Sie war die zielstrebige Pornodarstellerin Maxine, die ein Star werden wollte, und zugleich die frustrierte Pearl, deren sexuelle Wünsche unerfüllt blieben. Als junge Version mixt sie in Pearl die Unschuld einer Judy Garland aus Flemings märchenhaftem Hollywood-Klassiker mit der Tragik und Rastlosigkeit einer Dorothy Malone aus In den Wind geschrieben (1956) und den dunklen Trieben einer (vielleicht ja nur missverstandenen?) Anti-Heldin aus dem Exploitation-Kino der 1960er und 1970er Jahre. In jener Ära waren häufig alternde Melodram-Diven wie Bette Davis oder Joan Crawford in grellen Psychothrillern zu sehen, die in ihrer Drastik auf beinahe sadistische Art mit den funkelnden Images der einstigen Leinwandschönheiten spielten.

Sowohl X als auch Pearl variieren diese Methode: In ersterem wurden die junge Frau in ihrer Lebensblüte und die alte, verbitterte Frau auf zwei sich spiegelnde Parts aufgeteilt; in zweiterem sind die Jugend und das Bedrohliche, Böse in einer Figur vereint – eine unreife Person, deren Leben schon am Verfaulen ist, bevor es richtig angefangen hat.

Gewiss steckt Pearl voller Klischees. Die verhärmte Mutter (Tandi Wright), die in besonders harten Momenten Deutsch spricht. Der invalide Vater (Matthew Sunderland), der aus seinem kranken Körper heraus um Hilfe (oder um Erlösung?) zu flehen scheint. Der abwesende Gatte (Alistair Sewell), der im Krieg in Europa ist. Und vor allem das freudlose Dasein auf dem Lande, das sämtliche Träume unter undankbarer Landarbeit, Krankenpflege und Niedertracht begräbt. Als Drama übertreibt dieser Film so maßlos, dass lediglich die Flucht ins Terrorkino bleibt, mit lauten Schreien, einer schwingenden Axt und, natürlich, einem hungrigen Alligator.

Das alles wäre wiederum nicht viel mehr als überdrehte Unterhaltung, wenn Mia Goth, die auch als Co-Autorin und ausführende Produzentin beteiligt war, sich nicht so furchtlos in diesen Kosmos werfen würde. Ein erotisch aufgeladener Tanz mit einer Vogelscheuche, ein völliger Nervenzusammenbruch nach einem misslungenen Vortanzen und insbesondere ein Monolog, der alle Grausamkeit virtuos aufzählt – das macht diesen Film tatsächlich zu einer finsteren Perle mit einem der eindringlichsten Schlussbilder seit langem. Mit MaXXXine, der gerade von West und mit Goth gedreht wird, werden wir dann in eine (vergangene) Zukunft der einzigen Überlebenden aus X blicken, ins Porno-Business im L.A. der 1980er Jahre. Wir sind gespannt!

Pearl (2022)

Das Prequel von X (2022) spielt im Jahre 1918 und erzählt von Pearl (Mia Goth), die davon besessen ist, berühmt zu werden. Doch als das nicht so klappt, wie sie sich das vorstellt, beginnt sie mit dem Morden. 

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