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In „I Saw the TV Glow“ lässt Jane Schoenbrun zwei einsame adoleszente Figuren in die magische Welt einer Fernsehserie eintauchen.

I Saw the TV Glow (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Pink leuchtende Gespenster

Ob er Girls oder Boys möge, wird der introvertierte Neuntklässler Owen (Justice Smith) in einer Szene in Jane Schoenbruns „I Saw the TV Glow“ gefragt. Er möge TV-Serien, antwortet der Teenager zögerlich. Der Film beginnt in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in einer US-Vorstadt. Owen (als Siebtklässler zunächst verkörpert von Ian Foreman) wird durch Maddy (Brigette Lundy-Paine) in den Fantasy-Kosmos der samstagabendlichen Young-Adult-Serie „The Pink Opaque“ hineingezogen – und findet darin weit mehr als banale Jugendunterhaltung.

Vor YouTube, Netflix, Instagram oder TikTok half jungen Leuten eben auch das lineare Fernsehen bei der Suche nach Identifikationsangeboten: Es lieferte Geschichten, die sich mit ihren Konflikten, Ängsten, Träumen und Sehnsüchten auseinandersetzten. In den USA leistete das Network The WB (und später dessen Nachfolger The CW) einen wesentlichen Beitrag – mit langlebigen Serien wie Buffy – Im Bann der Dämonen, Dawson’s Creek, Charmed – Zauberhafte Hexen und One Tree Hill. Insbesondere die Formate mit übersinnlichen Elementen boten auch einem Publikum, das nicht in heteronormative Kategorien passt, die Möglichkeit, sich in die Figuren und deren Kämpfe gegen innere und äußere Dämonen einzufühlen und das queere Potenzial darin zu entdecken.

Jane Schoenbrun definiert sich als non-binär und spricht in Interviews über die große Wirkung von Serien wie Buffy in der eigenen Jugend. Die Erfahrung, aus einer fiktiven und zuweilen durchaus kitschig-trashigen Welt ganz unverhofft Halt, Trost und Zugehörigkeit schöpfen zu können, wird in I Saw the TV Glow äußerst treffend und feinsinnig in den dunkelbunten Bildern des Kameramanns Eric Yue eingefangen.

Erstmals wird Owen bei einer heimlichen Übernachtungsaktion im Keller von Maddys Elternhaus in den Bann von „The Pink Opaque“ hineingezogen. Der farbenfrohe, recht billige und doch kreative Look zielgruppenorientierter TV-Formate aus jener Zeit sowie die oft sentimentalen Dialoge und käsigen Effekte werden perfekt erfasst; die Abenteuer zweier Teens (gespielt von Helena Howard und Lindsey Jordan), die sich diversen „Monstern der Woche“ und vor allem dem fiesen Mr. Melancholy entgegenstellen müssen, wären als Konzept einer übernatürlichen Prime-Time-Serie der Nineties absolut denkbar gewesen.

Pink leuchtende Gespenster als kleine Male im Nacken kennzeichnen die beiden Serienfiguren als „special“. Wenn Maddy Owen nach der gemeinsamen Sichtung ein solches auf den Körper malt, ist dies ein Symbol ihrer tiefen Verbundenheit. Am nächsten Morgen muss es aber verzweifelt und verschämt wieder weggerubbelt werden, damit der strenge Stiefvater (Fred Durst) es nicht sieht. Während Maddy die suburbane Heimat hinter sich lassen will, fasst Owen den Entschluss, in seinem (zunehmend unglücklichen) Leben zu bleiben. Mehr und mehr gerät die Realität allerdings ins Wanken.

I Saw the TV Glow, an dessen Produktion sowohl die von Emma Stone mitgegründete Firma Fruit Tree als auch A24 beteiligt waren, lässt in seiner Bildsprache an den New-Queer-Cinema-Stil von Gregg Araki, insbesondere an Nowhere (1997) und Mysterious Skin (2004), denken. Die Tristesse der Umgebung erhält in ihrer Ausleuchtung stets etwas Traumhaft-Unwirkliches. Die Neonfarben, die ein Getränkeautomat in der Highschool oder ein Zimmeraquarium ausstrahlen, die künstliche Aura, die von der Gemüseabteilung eines seltsam verlassen wirkenden Supermarkts ausgeht – all das verleiht dem Film auch außerhalb der fantastischen TV-Welt etwas Surreales.

Hinzu kommt der virtuose Einsatz von Musik. Neben dem einnehmenden Score von Alex G werden Bühnenauftritte der Bands Sloppy Jane und King Woman stimmig ins Geschehen integriert. Der Film hat zahlreiche bittere, abgründige Momente. Wenn er zeigt, wie eine Serie zwei Außenstehende zu verbinden vermag, lodern indes auch Augenblicke von Empowerment auf. In jedem Fall beweist I Saw the TV Glow, dass Jane Schoenbrun eine sehr vielversprechende Stimme des Indie-Kinos ist. Eine Stimme, die für all jene zu sprechen wagt, die sich lange Zeit nur im Subtext, selten im Text einer Erzählung erkannt fühlten.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

I Saw the TV Glow (2024)

Teenager Owen schlägt sich durch sein Leben in der Vorstadt. Eines Tages führt ihn ein*e Mitschüler*in in die übersinnliche Welt einer mysteriösen Late-Night-Fernsehshow ein. Im fahlen Licht der Fernsehbilder bekommt Owens Realitätswahrnehmung zunehmend Risse. (Quelle: Berlinale)

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