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Subtil beobachtet Claire Simon Abläufe in der gynäkologischen Abteilung eines Krankenhauses. Dabei wird deutlich, dass der Umgang mit unseren Körpern oder der Wunsch nach Reproduktion stets von emotionalen Prozessen begleitet ist.

Our Body (2023)

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Unsere Körper, unsere Kinder, unser Leben

Unsere Körper: Aus ihnen bestehen wir. Wir brauchen sie nicht nur, sie lösen auch Freude und Schmerzen aus, manchmal voraussehbar und kaum der Rede Wert, manchmal überraschend und von unwiderrufbaren Konsequenzen für den Rest unseres Lebens. Claire Simon spürt dem alltäglichen Umgang mit Körpern in einem Pariser Krankenhaus nach. Über Jahre hat sie Gespräche zwischen Patient*innen und Ärzt*innen, aber auch Operationen und Geburten gefilmt. Der Grund für die Besuche betrifft meist einen Aspekt menschlicher Reproduktion: Abtreibung, Endometriose, In-Vitro-Fertilisation, Geburt, Hormonbehandlung, Menopause. Schließlich wird auch Simon selbst durch eine Brustkrebs-Diagnose Teil ihres eigenen Films.

Am Beginn von Notre Corps steht eine Szene, in der eine junge Frau von ihrer ungewollten Schwangerschaft berichtet. Wir, das Publikum, sehen nur das Gesicht der Person, die ihr gegenüber sitzt und geduldig zuhört. Sie fällt keine Urteile, stellt ab und zu Fragen, nickt. Simons Kamera beobachtet ohne Unterbrechung, wir schauen und hören zu. Bereits mit dieser Situation lässt die Filmemacherin einen roten Faden, der alle kommenden Situationen verbindet, erkennen: Wenn sich unsere Körper verändern, wir einen Eingriff benötigen, sind nicht nur medizinische Aspekte wesentlich, sondern unser Reflektieren und Sprechen über die eigene (Gefühls-)Lage.

Jede*r kennt es: Dinge geschehen im Körper, die die Medizin zwar teilweise zu erklären vermag, für Nicht-Mediziner*innen aber werden Befunde und Diagnosen oft in eine schwer verständliche Sprache verpackt, die uns entweder zu einer nervenaufreibenden Internet-Recherche verleitet oder unser Vertrauen komplett in die Hände einer oder mehrere Ärzt*innen legen lässt. In Simons Film scheint das medizinische Personal genügend Zeit für gründliche und geduldige Gespräche mit den Patient*innen aus unterschiedlich privilegierten Lebenssituationen aufbringen zu können – möglicherweise auch ein Ergebnis der Kamerapräsenz. Eine kurze Sequenz, in der Personen auf einer Demonstration bessere gynäkologische Behandlungen mit mehr Aufklärung einfordern, unterstreicht die Relevanz eines sensiblen Umgangs von medizinischem Personal mit Patient*innen und verweist auf die Jahrzehnte andauernden feministischen Kämpfe um das Recht am eignen Körper. 

Doch es bleibt nicht nur bei ruhigen Gesprächen in fensterlosen Räumen. Das wohl eindrücklichste Ereignis, dessen Zeug*innen wir werden, ist eine vaginale Geburt. Erschöpft aber ungeduldig spricht die Gebärende mit der Hebamme, atmet, presst, gibt Fruchtwasser ab, kündigt ein wenig verlegen an, dass gleich ihr Stuhlgang folgt. Bald danach drängt sich langsam der verschmierte Kopf des Babys vor – Freudentränen. Ebenso gleich einem Schwall drängt auch das Fruchtwasser bei dem anschließenden Kaiserschnitt hervor, das Baby wird wie eine Puppe herausgehoben und durch den Operationssaal gereicht. Was im Krankenhaus alltäglich ist und dem Blick des medizinischen Personals vorbehalten, erhält, indem es auf der Leinwand des Kinosaals sichtbar wird, neue Bedeutung. In Notre Corps verwandeln sich die Körper weder in rein abstrakte Abbildungen, noch in ausschließlich verletzliche, Mitleid erregende Elemente, die wieder funktional werden müssen. Sie erscheinen im nüchternen, geduldigen Blick der Kamera schlicht als Teil unseres Menschseins und seiner Emotionen. Im Gegensatz zu De humani corporis Fabrica von Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor, der im Vorjahr auf der Viennale präsentiert wurde, zeigt Notre Corps nur teilweise Aufnahmen von Körperkameras, von Geräten in Operationssälen und Bildschirmen, die in Behandlungsräumen und im Labor verwendet werden.

Simon nimmt uns nach der Szene eines Beratungsgesprächs für Eltern mit Kinderwunsch mit ins IWF-Labor. Unter dem Mikroskop werden die Spermien zur Eizelle geschubst, manchmal eher vehement gedrängt. Doch auch hier zeigen Schulmedizin und Wissenschaft ihre Grenzen auf: Ob danach eine erfolgreiche Schwangerschaft entsteht, ist nicht sicher. Zurückhaltend wirken die Paare, die hoffnungsvoll auf Nachwuchs warten. Subtil werden ihre Beziehungsdynamiken spürbar, wenn die Ärzt*innen nach Beziehungsstand, Beruf, Alter, Herkunft und der Häufigkeit ihrer sexuellen Interaktionen fragen. Doch auch junge Leute, die sich selbst noch weit entfernt vom Kinderwunsch sehen, werden über die Möglichkeit informiert, ihre Eizellen einfrieren zu lassen: Eine Patientin mit Endometriose und ein trans Junge. Einer trans Frau, die ins das Alter der Menopause kommt, wird empfohlen, das Östrogen-Level herunterzuschrauben. Da es noch keine Ergebnisse darüber gibt, wie sich kein Absenken des Hormon-Levels bei trans Frauen auswirken würde, orientiert sich die Medizin an den Erkenntnissen, die sie über das Hormongleichgewicht bei Cis-Frauen in der Menopause hat. Wie alle anderen auch, steht die Patientin vor vollendeten Tatsachen und folgt der Empfehlung des Arztes.

Als die Filmemacherin durch eine Brustkrebs-Diagnose selbst zur Patientin wird, erfährt der Film noch eine emotionaler aufgeladene Unmittelbarkeit. Sehr wahrscheinlich ist, dass ihre Brust abgenommen werden muss, erfährt Simon – eine Ankündigung, die sie deutlich belastet. Nun sitzt die Regisseurin selbst auf der Seite derjenigen, die sie davor noch gefilmt hat. Die Bildsprache verändert sich dadurch nicht: Die Aufnahmen sind in keinem Moment des Films voyeuristisch, sondern wirken sensibel gewählt. Das sanfte Sounddesign unterstützt zudem die ruhigen Settings. So erfahren die Körper in den 168 Minuten des Krankenhaus-Alltags Repräsentationen, die sich deutlich unterscheiden von jenen Selbstoptimierungsbildern in Werbung, Internet und Fernsehen, die sonst unseren Alltag dominieren und kaum etwas mit der Kenntnis über und der Akzeptanz des eigenen Körpers zu tun haben. Notre Corps wird somit fast zum Pflichtprogramm in der Auseinandersetzung mit der filmischen Darstellung von Körpern sowie dem breiteren Diskurs um das Recht am eigenen Körper.

Gesehen auf der Viennale 2023.

Our Body (2023)

Mit behutsamem Blick schaut sich die französische Regisseurin Claire Simon in einer gynäkologischen Klinik in Paris um; sie trägt Szenen von Geburten und Krebsdiagnosen, von Beratungsgesprächen zu Endometriose und zur Hormontherapie für eine ältere trans Frau zusammen. Was dabei entsteht, ist ein zunächst beobachtender, später immer persönlicherer Film über das, was es bedeutet, in einem weiblichen Körper zu leben.

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