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Eline Gehring, Sara Fazilat und Francy Fabritz schildern in „Nico“, wie der Titelfigur alle Gewissheiten in ihrem Leben entrissen werden – und wie sie versucht, diese selbstständig zurückzuerobern.

Nico (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Warum bist du so geworden?“

Die Deutsch-Perserin Nico (Sara Fazilat) ist eine selbstbewusste Person – ein Mensch, der mit sich im Reinen ist. Wenn sie durch Berlin radelt und von einer ungeduldigen Autofahrerin angepöbelt wird, weiß sie sich zu wehren. In ihrem Job als Altenpflegerin findet sie mühelos einen persönlichen Zugang zu ihren Patient:innen. Ohne auf plakative Weise mit betont coolen Posen und One-Linern zu arbeiten, lässt uns der Film „Nico“ spüren, dass die Titelheldin ihr Leben im Griff hat.

Dann kommt es zu einem Angriff auf nächtlicher Straße – einer rassistisch motivierten Gewalttat, verübt von einer Gruppe von aggressiven jungen Leuten. Nico trägt schwere Verletzungen davon und ist fortan nicht mehr dieselbe. „Warum bist du so geworden?“, fragt Nicos beste Freundin Rosa (Javeh Asefdjah) an späterer Stelle. Eine klar ausformulierte Antwort muss die Protagonistin in diesem Moment gar nicht geben, da sie für uns auch ohne Erklärung schmerzlich erfahrbar wird: Der Vorfall hat Nico gezeigt, dass sie von mehr Rassismus umgeben ist, als ihr bis dato bewusst war. Ihr wurde brutal die Unbeschwertheit genommen. Das Gefühl, ganz selbstverständlich ein Teil dieser Stadt und dieses Landes zu sein, ist mit einem Mal weg.

Die Regisseurin Eline Gehring, die mit Nico ihr Langfilmdebüt vorlegt, und ihre beiden Co-Autorinnen Sara Fazilat (auch Hauptdarstellerin sowie Produzentin) und Francy Fabritz (zugleich Kamerafrau) erzählen von einer Erschütterung und von einem Heilungsprozesses. Beides gelingt ihnen auf subtile und absolut authentisch anmutende Art und Weise. Sie müssen keine Klischees, weder „positiv“-verniedlichende noch negative, bedienen, um Nicos Lebenssituation zu zeichnen. Alles wirkt wie gelebtes Leben.

Um nach dem Angriff einen Weg zu finden, mit ihrer Wut umzugehen, beginnt Nico einen Selbstverteidigungskurs beim Karate-Weltmeister Andy, verkörpert von Andreas Marquardt, dessen Biografie von Rosa von Praunheim im Dokudrama Härte (2015) verfilmt wurde. Andys Training wird uns nicht als Allheilmittel gegen die Grausamkeiten unserer Welt verkauft – dennoch wird glaubhaft vermittelt, dass Nico durch die Konzentration auf sich und ihre eigene Stärke neuen Mut fasst.

Überdies begegnet Nico der Mazedonierin Ronny (Sara Klimoska), die an einer Schießbude auf einem Rummelplatz arbeitet. In schönen, aber niemals kitschigen Aufnahmen fangen Gehring und ihre Bildgestalterin Fabritz die Magie dieses Ortes ein, wenn Nico, Ronny und Rosa etwa durch ein Spiegellabyrinth wandeln oder sich beim Autoscooter-Fahren amüsieren. Zwischen Nico und Ronny könnte sich eine Romanze entwickeln, doch die Umstände scheinen es nicht zuzulassen.

Der Film driftet nie in eine der beiden Richtungen ab, die wir als langjährige Kinogänger:innen befürchten könnten. Weder nimmt das Melodramatische überhand, noch löst sich das Ganze locker-fluffig im Feelgood-Modus auf. Wenn Nico und Ronny in der Wohnung von Nicos freundlicher Patientin Brigitte (Brigitte Kramer) sitzen und diese versichert, dass sie doch „kulti-multi“ sei, ist das schlichtweg bezaubernd. Und doch bleibt die Ahnung, dass nicht jeder Ort ein solcher Safe Space ist wie die Wohnung von Brigitte. „Mit diesem Film versuchen wir, nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera eine Realität zu schaffen, um nicht mehr nur damit beschäftigt zu sein, auf Realitäten zu reagieren, die andere für uns schaffen“, erläutert Gehring in einem Statement. Mit der hervorragenden Hauptdarstellerin, die in jeder Emotion überzeugt, und seinem genauen Blick auf Menschen und deren Umfeld hat Nico dieses Ziel in jeder Hinsicht erreicht.

Nico (2021)

Nico genießt mit ihrer besten Freundin Rosa den Sommer in Berlin, bis ein rassistischer Überfall sie aus ihrem unbeschwerten Alltag reißt. Traumatisiert von der Tat, beschließt die Altenpflegerin, nie wieder ein Opfer zu sein, und beginnt, bei einem Karate-Weltmeister zu trainieren. Durch den Kampfsport kanalisiert Nico ihre Wut. Doch je stärker sie sich abhärtet, desto mehr verliert sie die Bindung zu sich und ihrem alten Leben.

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