Log Line

Eine Frau hat schön und lieblich zu sein. Wer diesem Schönheitsideal nicht entspricht, wird von Mariana und ihren Freundinnen in Selbstregie bestraft. Die brasilianische Regisseurin Anita Rocha da Silveira findet für ihren feministischen Horror-Rache-Film eine bunte, kunstvolle Bildsprache.

Medusa (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Schlagt dem Monster den Kopf ab

Die brasilianische Regisseurin Anita Rocha da Silveira hat bereits mit „Kill me, please“ einen Hybrid aus Coming of age, Horror und feministischem Pamphlet präsentiert. In ihrem neuen Film perfektioniert sie diese Mischung noch, „Medusa“ zeigt einen offensichtlichen Reifungsprozess auf. Die Inszenierung ist dichter, die Figuren haben eine tiefgründigere Charakterzeichnung und die Verwendung von subtilem Humor wirkt pointierter. Entstanden ist eine spannende Rache-Gesellschaftssatire mit skurrilen Figuren und einer einnehmenden künstlerischen Ästhetik.

Die Protagonistinnen in Medusa sind junge Frauen aus gutem Hause. Sie gehören einer Religionsgemeinschaft an, die behauptet, der christlichen Nächstenliebe verpflichtet zu sein, aber eher einer fanatischen Sekte gleicht. Ihr Frauenbild ist alles andere als emanzipiert. Eine Frau hat schön und unterwürfig zu sein. Bei Tag geben sie sich den Lobgesängen auf Jesus hin und dem mehr oder weniger auffälligen Anhimmeln ihres jungen und gutaussehenden Predigers. Bei Nacht ziehen sie durch die Straßen und greifen Frauen an, die sich ihrer Meinung nach zu lasziv oder unmoralisch verhalten. Sie schlagen sie und zwingen sie, sich auf Video zu einem Lebenswandel zu bekennen.

Auch Mariana (Mariana Oliveira) ist Teil dieser selbstgerechten Clique. Als ihre Anführerin bei einem der nächtlichen Ausflüge verletzt wird und fortan wegen der Narbe im Gesicht von den anderen zunehmend ausgegrenzt wird, beginnt Mariana die Gruppe und ihre Überzeugungen zu überdenken. Sie sondert sich ab, und dabei kommt ihr ihre neue Stelle als Krankenpflegerin in einer psychiatrischen Klinik gerade recht. Wenn Mariana vorher im vermeintlichen Paradies war, kommt sie jetzt in die Hölle. Reichtum und Schönheit sind glänzend und hell, Armut und Hässlichkeit dreckig und dunkel. Diese visuelle Einteilung ist nicht unbedingt subtil, doch ein effektives Mittel, um die verschiedenen sozialen Sphären darzustellen.

Die Klinik, in der fast Zweidrittel der Handlung spielen, erinnert mit dem Mangel an Tageslicht und der dicken Fettschicht überall eher an ein Gefängnis. Hier werden die geparkt, die nicht mehr den Normen der restlichen Gesellschaft entsprechen. So geht auch das Gerücht um, dass irgendwo eine junge Frau liegen müsse, die man als Strafe für ihr unmoralisches Verhalten mit Benzin übergossen und angezündet habe. Für Mariana wird diese Frau zum Symbol für ihren Sinneswandel in Bezug auf die Werte der Frauengruppe. Sie verkörpert eine moderne Medusa. Wie ihr mythologisches Vorbild wurde sie für ihr angeblich liederliches Benehmen bestraft – und in ein Monster verwandelt.

Dass sich die wahren Monster hinter den perfekt sitzenden Frisuren, der glatten, makellosen Haut und den schlanken Figuren verstecken, macht Medusa unmissverständlich klar. In der Gesellschaft, die sie beschreibt, fehlt es an Solidarität, vielmehr glauben sich ein paar Privilegierte befähigt, die Regeln für alle festlegen zu dürfen. Diese zielen darauf ab, dass über die Definition von Schönheitsidealen auch sonstige Abweichungen von der Norm verurteilt werden können.

Dass feministische Belange nicht nur gegenüber Männern durchgesetzt werden müssen, sondern auch gegenüber Frauen selbst, ist ein weiteres Thema des Films. Dabei ist es gar nicht so unverständlich, wovor diese „perfekten“ Frauen genau Angst haben. Im aktuellen Zustand kennen sie ihren Platz, sie wissen, was von ihnen erwartet wird, und das gibt ihnen Sicherheit. Sobald die Grenzen zwischen den Geschlechtern verschwimmen, müssen sie sich neue Gewissheiten suchen, an denen sie sich orientieren können. Vor diesem möglichen Infragestellen der eigenen Identität fürchten sich Frauen wie Männer.

Durch die hier und da angewandte Überspitzung erhält Medusa einen satirischen Charakter, der in Anbetracht der brasilianischen gesellschaftlichen Realität, aber bei weitem nicht nur ihrer, gar nicht so dystopisch wirkt. Der Film hat in dieser Hinsicht etwas von einem Befreiungsschlag, und gleichzeitig fungiert er auch als Manifest. Er ist eine Stellungnahme gegen antifeministische, ultrakonservative und bigotte Ansichten.

Auf formaler Ebene überzeugt Medusa durch ein einheitliches Farbkonzept, das an Filmautoren wie Dario Argento und überhaupt an Werke des B-Horrorfilms erinnert. Das fügt dem Werk, das mit Sicherheit nicht dem B-Film-Genre angehört, sondern im Gegenteil durch seine kunstvolle und inhaltliche Relevanz hervorsticht, eine äußerst sympathische, selbstironische Ebene hinzu. Überhaupt weiß Rocha da Silveira Humor genau zu dosieren. Zu den komischsten Szenen gehört unter anderem die Tanz- und Gesangseinlage der frommen Frauen in der Gemeinde.

In seiner Absicht und Botschaft könnte man den Film daher viel eher mit A Girl Walks Home Alone at Night (2014) von Ana Lily Amirpour vergleichen, in dem die Stimmung latent bedrohlich wirkt, aber das wirklich Grauselige nicht in den äußeren Ereignissen liegt, sondern in den Köpfen der sich für bemächtigt Ansehenden stattfindet.

Medusa (2021)

Tagsüber arbeitet Mariana in einer Klinik für Schönheitsoperationen, nachts zieht sie mit einer Girls-Gang maskiert durch die Straßen, um junge Frauen zu bestrafen, die auch nur im Geringsten über die Stränge schlagen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen